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Text: Helena KreiensiekAusgabe: 04/2023

Der Tschad gilt als eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder der Welt. Die Auswirkungen sind in allen Bereichen des Lebens spürbar. Eine kleine Gruppe von Umweltaktivistinnen und -aktivisten kämpft in dem Sahelstaat darum, mehr Bewusstsein für den Umweltschutz zu schaffen.

Der Tschad zählt zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder weltweit – rund um den Tschadsee, der in den letzten Jahrzehnten um 90 Prozent geschrumpft ist, leben vielen Klimaflüchtlinge. © Boris Heger/Report Digital-REA/laif
Der Tschad zählt zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder weltweit – rund um den Tschadsee, der in den letzten Jahrzehnten um 90 Prozent geschrumpft ist, leben vielen Klimaflüchtlinge. © Boris Heger/Report Digital-REA/laif

Stolz zeigt Joël Yodoyman auf sein Handy: «Hier, das ist eine von unseren Kinderexpertinnen», sagt er. Das Video zeigt ein neunjähriges Mädchen bei einer Präsentation. Ihr Mikrofon knistert leicht, doch davon lässt sie sich nicht beirren. Mit klarer Stimme erklärt die Neunjährige ihrem Publikum selbstbewusst, wie man die Sicherheit einer Feuerstelle erhöht. «Lassen wir es nicht zu, dass Feuer unsere Umwelt zerstört», beendet sie unter dem Applaus der Zuschauerinnen und Zuschauer ihre Präsentation.

Das Mädchen aus Joël Yodeymans Handyaufnahme ist Mitglied der tschadischen Umweltorganisation «Espaces Verts du Sahel» (zu Deutsch: Grünflächen der Sahelzone), eine lokale Organisation, die sich dem Umweltschutz verschrieben hat. «Bei uns stehen vor allem Jugendliche und Kinder im Vordergrund», erklärt der Gründer Joël Yodoyman. «Die Kinder von heute sind die Verantwortlichen von morgen. Wir möchten sie zu Vorreitern für den Umweltschutz ausbilden.» Seit mehr als zehn Jahren hat sich der 39-Jährige dem Schutz der Umwelt im Tschad verschrieben – und bildet damit den Kern einer sehr kleinen Szene an Umweltaktivisten in dem zentralafrikanischen Land.

Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre

«Im Tschad geht es ums Überleben», sagt Joël Yodoyman. «Ich kann es keinem Familienvater zum Vorwurf machen, wenn er kein Interesse an Umweltaktivismus hat, weil seine Gedanken darum kreisen, wie er die Schulgebühren seiner Kinder bezahlen soll oder wo die nächste Mahlzeit herkommt.» Und doch sei der Klimawandel für jeden spürbar. Umso wichtiger also, dass die nächste Generation bereits mit einem Verständnis von Umweltschutz aufwachse und die Konzepte auf spielerische Art in den Alltag integriere, erklärt der Umweltaktivist. Denn Kinder und Jugendliche machen in dem Sahelstaat einen Grossteil der Bevölkerung aus. Fast die Hälfte ist jünger als 15 Jahre.

Laut dem «Global Adaption Index» zählt der Tschad zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder weltweit – und ist zugleich eines der ärmsten. Die Auswirkungen seien vor allem rund um den Tschadsee zu spüren, sagt Roméo Koïbé. Jahrelang hat der Wissenschaftler für seine Doktorarbeit über Klimaflüchtlinge Daten rund um den Tschadsee gesammelt. Einst einer der grössten Seen Afrikas, ist dieser seit den 1960er-Jahren um rund 90 Prozent geschrumpft. Der sinkende Wasserspiegel und die schwindenden Fischbestände würden zu immer mehr Verarmung und Streit um Ressourcen führen. Ausserdem machen zunehmende Dürren, abgewechselt von Starkregen, der zu 80 Prozent von der Landwirtschaft lebenden Bevölkerung schwer zu schaffen. In diesem Jahr habe es allein in der Hauptstadt N’Djamena kaum geregnet, während im vergangenen Jahr die Stadt unter den Regenfluten versunken sei, illustriert Roméo Koïbé die immer erratischer werdenden Regenfälle. Immer mehr junge Menschen würden daher den traditionellen Ackerbau und Fischfang aufgeben und ihr Glück in der Hauptstadt suchen. «Es gibt eine regelrechte Klimamigration in die Städte. Aber oft wandelt sich das in Desillusionierung», sagt Roméo Koïbé, denn um die wirtschaftliche Situation des Landes ist es nicht gut bestellt.

Frust führt zu Protesten

Obwohl der Tschad seit 2003 ein Ölförderungsland ist, kommt von dem Reichtum bei der Bevölkerung nur wenig an. Selbst in der Hauptstadt fehlt es an Krankenhäusern, Zugang zu sauberem Wasser und Elektrizität. Der Frust über die autokratische Regierung, die ungleiche Verteilung von Ressourcen und hohe Jugendarbeitslosigkeit, gepaart mit extremer Armut seien Auslöser der Proteste gewesen, die am 20. Oktober 2022 das ganze Land erschütterten, sagt auch Helga Dickow, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg im Breisgau (D) . «Der Tschad ist ein Land mit einer langen Bürgerkriegserfahrung, aber so viele Menschen sind an einem Tag noch nie ums Leben gekommen», erzählt die Politologin.

Der Protesttag im Oktober ist als «Jeudi Noir» (schwarzer Donnerstag) in die Erinnerung der Bevölkerung eingegangen. Denn Übergangspräsident Mahamat Idriss Déby Itno reagierte gnadenlos. «Jegliche Opposition wurde im Keim erstickt», sagt Tschad-Expertin Helga Dickow. Sich öffentlich politisch zu positionieren, würden sich seither nur noch wenige trauen. Doch der Frust über die schwierigen Lebensumstände bleibt.

Fulbe mit ihren Zebus: Immer wieder kommt es wegen der Weideflächen zwischen sesshafter Bevölkerung und nomadisierenden Hirtenvölkern zu Konflikten. © Franck Charton/hemis.fr/laif
Fulbe mit ihren Zebus: Immer wieder kommt es wegen der Weideflächen zwischen sesshafter Bevölkerung und nomadisierenden Hirtenvölkern zu Konflikten. © Franck Charton/hemis.fr/laif

Auch Joël Yodoyman von «Espaces Verts du Sahel» war wie so viele andere nach seinem Universitätsabschluss lange auf der Suche nach Arbeit – bis die Idee entstand, selbst Module zu entwickeln, um seine Mitmenschen über den Klimawandel aufzuklären. «Ich habe meine Freunde und Freundinnen versammelt, und wir haben 2012 zunächst einen Verein gegründet. Daraus ist nach ein paar Jahren dann eine offiziell registrierte Organisation geworden», erzählt der 39-Jährige.

Wie ihm seinerzeit geht es bis heute vielen jungen Tschadern und Tschaderinnen. Eine Anstellung zu finden, ist nicht einfach. Der Jobmarkt ist klein, die Bezahlung gering. Doch gerade in der Region rund um den Tschadsee führe die schwierige wirtschaftliche Situation sowie der Mangel an Perspektiven dazu, dass bewaffnete terroristische Gruppen ein leichtes Spiel hätten, junge Menschen zu rekrutieren. «Die Mitgliedschaft in einer Rebellengruppe ist zu einem regelrechten Wirtschaftszweig im Tschad geworden», sagt Ulf Laessing, Leiter des Sahelprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Wechselwirkung zwischen Konflikt und Klimawandel sei offensichtlich. Denn der Klimawandel wirke wie ein Multiplikator auf die verschiedenen Herausforderungen des Landes.

Jeudi Noir

Am 20. Oktober 2022, umgangssprachlich als «Jeudi Noir» bezeichnet, kam es zu Massenprotesten in ganz Tschad. Hintergrund war die Ankündigung Mahamat Idriss Déby Itnos, die Übergangsperiode auf 24 Monate zu verlängern und dessen mögliche Kandidatur bei den nächsten Wahlen. Dieser hatte im April 2021 die Macht nach dem überraschenden Tod seines Vaters Idriss Déby Itno übernommen. Sein Sohn löste daraufhin das Parlament auf, setzte die Verfassung ausser Kraft, erklärte sich zum Chef des «Militärischen Übergangsrats» und versprach, freie Wahlen innerhalb von 18 Monaten abzuhalten. Am 20. Oktober versammelten sich tausende Demonstrierende, um Mahamat Idriss Déby an sein Versprechen zu erinnern. Die Proteste wurden brutal niedergeschlagen. Offizielle Schätzungen liegen bei 50 Toten und mindestens 600 Verhaftungen. Bis heute hat es keine unabhängige Untersuchung gegeben.

Verteilkämpfe um Weideflächen

Immer wieder kommt es auch zwischen der sesshaften Bevölkerung im Süden und den nomadischen Hirtenvölkern des Nordens zu Konflikten. Die jahrhundertealte Symbiose, bei der die Hirten ihr Vieh in der Trockenzeit in den Süden trieben und mit dem einsetzenden Regen wieder gegen Norden zogen, ist nicht mehr existent. «Da es keinen Regen und damit auch keine Nahrung gibt, bleiben die Viehzüchter für immer längere Perioden in den Ackerbaugebieten im Süden», erklärt Joël Yodoyman. Auf die Art komme es immer mehr zu Verteilungskämpfen um die Nutzung von Weideflächen und Wasserquellen. Die Ackerbauern und -bäuerinnen wiederum sehen sich vor immer trockenere und versandende Böden gestellt, die geringe Erträge abwerfen.

«Die wenigen Bäume, die den Versandungsprozess aufhalten könnten, werden nach und nach abgeholzt, da es schlichtweg an alternativen Energiequellen mangelt», weiss Roméo Koïbé von seinen Forschungsaufenthalten. Hinzu käme, dass immer mehr Waffen im Umlauf seien, wodurch es immer wieder Todesfälle bei diesen Auseinandersetzungen gäbe. Viele Hirten hätten sich allein schon deshalb bewaffnet, um ihre Tiere schützen zu können, denn gerade der Viehdiebstahl sei ein florierendes Geschäft. Dies bestätigt auch Joël Yodoyman: «Durch diese Bewaffnung hat sich der Konflikt zwischen den Gemeinden verschärft. Aber das eigentliche Problem ist der Klimawandel. Doch wie gesagt, es geht allen ums Überleben.»

Kinderbotschafterinnen bringen Hoffnung

Mit einem Team von acht Angestellten und 117 Freiwilligen versucht «Espaces Verts du Sahel» der jungen Bevölkerung daher Wissen über den Klimawandel zu vermitteln. Die engagiertesten unter den Kindern haben es in der Vergangenheit schon geschafft, Stipendien zu gewinnen. Auch stellt die Organisation regelmässig einen Pool von Kinderbotschaftern und -botschafterinnen bei der UNO-Klimakonferenz COP. Mädchen und Jungen, wie die Neunjährige aus der Handyaufnahme von Joël Yodoyman, haben dann die Gelegenheit, der tschadischen Jugend auch auf dem internationalen Parkett Gehör zu verschaffen.

«Wenn ich an einer unserer Schulen vorbeikomme und sehe, wie sich die nächste Generation von Klimaexperten und -expertinnen für die Umwelt einsetzt, geht mir das Herz auf», sagt Joël Yodoyman. Nicht selten passiere es, dass einer der schattenspendenden Bäume auf den Schulhöfen, unter denen sich die Mädchen und Jungen aus den Umweltclubs heute treffen, von Schülerinnen und Schülern der vorherigen Jahrgänge gepflanzt wurden. «Und das wiederum gibt Hoffnung.»

* Helena Kreiensiek ist freie Auslandskorrespondentin mit Sitz in Kampala, Uganda. Seit 2020 lebt sie in Ostafrika und berichtet über aktuelle Themen, die den Kontinent betreffen.

Tschad in Kürze

Name
Republik Tschad

Hauptstadt
N’Djamena

Bevölkerung
Rund 17 Millionen (Stand 2021), davon leben rund 23% in Städten

Ethnien
Sara 28%
Araber 12%
Daza 11%
Mayo-Kebbi 10%
Kanem-Bornou 9%
Ouaddaï 9%
Hadscharaï 7%
Tandschilé 7%
Fitri-Batha 5%
Andere 2%

Sprachen
Arabisch und Französisch

Altersstruktur

0–14 Jahre: 47,4%

15–64 Jahre: 50,6%

65 Jahre+: 2%

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