Das DEZA-Magazin für
Entwicklung und Zusammenarbeit
DEZA
Text: Samuel SchlaefliAusgabe: 04/2023

Der ghanaische Epidemiologe John H. Amuasi gestaltet die globale «One Health»-Agenda als Co-Direktor der «Lancet One Health Commission» massgeblich mit. Er plädiert für einen langsamen, aber radikalen Wandel in der Wirtschaft, in der globalen Gesundheitspolitik und in der Ausbildung.

Herr Amuasi, wann begannen Sie sich als Humanmediziner für «One Health» zu interessieren – ein Konzept, das ursprünglich aus der Veterinärmedizin kommt?

Ich habe mich früh für die Gesundheit auf der Ebene der Gesamtbevölkerung interessiert, deshalb habe ich auch Public Health studiert. Das One-Health-Konzept passte von Anfang an zu meiner eigenen Art, in Abhängigkeiten zu denken. Als ich 2012 meine Doktorarbeit in den USA schrieb, war ich an einem grossen Projekt der Universität Minnesota beteiligt, das von «USAID» finanziert wurde und bei dem wir eng mit afrikanischen Staaten zusammenarbeiteten, um das Gesundheitssystem durch einen One-Health-Ansatz zu verbessern. Vor vier Jahren wurde ich zum Co-Vorsitzenden der Lancet-One-Health-Kommission gewählt, wodurch ich noch stärker in das Thema eintauchte. Mit Ebola und später SARS-CoV-19, beides Viren mit zoonotischem Ursprung, nahm das Interesse an «One Health» und der Arbeit unserer Kommission plötzlich stark zu.

Indische Bauern bei ihrer Feldarbeit: John Amuasi fordert, das Denken in Abhängigkeiten und das Verständnis für die Verbundenheit von Menschen, Tieren und Umwelt auf allen Ebenen in die Ausbildung einzubetten – und zwar weltweit. © hristophe Stramba-Badiali/Haytham-REA/laif
Indische Bauern bei ihrer Feldarbeit: John Amuasi fordert, das Denken in Abhängigkeiten und das Verständnis für die Verbundenheit von Menschen, Tieren und Umwelt auf allen Ebenen in die Ausbildung einzubetten – und zwar weltweit. © hristophe Stramba-Badiali/Haytham-REA/laif

In der Kommission arbeiten Biologen, Historikerinnen, Mediziner und Wirtschaftswissenschaftlerinnen gemeinsam an Fragen der globalen Gesundheit. Wie kann diese gefördert werden?

Unsere Kommission propagiert einen «Radical slow Change», also einen langsamen, aber sehr grundsätzlichen Wandel in der Gesellschaft. Wenn wir das ultimative Ziel einer «One Health» erreichen wollen, nämlich gesunde, nachhaltige, sozioökologische Systeme, dann müssen wir auch das Wirtschaftssystem verändern. Das muss jedoch langsam geschehen, sonst entsteht ein Chaos. Mittlerweile sollte aber allen klar sein – und der Klimawandel ist vielleicht der offensichtlichste Ausdruck dafür –, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern, wenn wir weitermachen wie bisher. «One Health» bedingt deshalb auch einen tiefgreifenden Wandel in unserer Wahrnehmung und unseren Wertsystemen. Das funktioniert aber nicht, wenn dies nur lokal passiert. Es braucht internationale Vereinbarungen und dafür ist die Zusammenarbeit der UNO-Organisationen zentral. Auch das Engagement von nationalen Entwicklungsagenturen ist wichtig, weil sie die UNO-Organisationen, die Weltbank und andere multilaterale Organisationen mitfinanzieren, die sich für eine «One Health» einsetzen. Sie könnten aber noch mehr bewirken, wenn sie sich bei der Mittelvergabe expliziter dafür einsetzen würden, dass die unterstützten Initiativen und Projekte mit den Zielen einer «One Health» übereinstimmen.

Wo sehen Sie die Wechselwirkungen zwischen Gesundheit, Werten und Wirtschaft?

Bis heute messen wir Wachstum und Fortschritt über das Bruttoinlandsprodukt, das BIP. Das hat zur Folge, dass zum Beispiel ein Primärwald an sich keinen Wert hat. Erst wenn die Bäume gefällt, verschifft und verkauft werden oder wenn Bodenmineralien ausgebeutet werden, erhalten sie einen ökonomischen Wert. In Bezug auf «One Health» schafft das BIP fatale Fehlanreize, weil es Aktivitäten fördert, wie die Waldrodung, die sich unausweichlich negativ auf die menschliche Gesundheit und die geteilte Umwelt auswirkt. Wenn wir eine andere Definition von ökonomischem Gewinn, von Kapital und Wohlstand hätten, dann würde das Wirtschaftssystem nicht die Zerstörung und dadurch verursachte Krankheiten fördern, sondern Aktivitäten, die die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt unterstützen.

Wie müsste ein «radikaler, langsamer Wandel», wie Sie ihn fordern, konkret vonstatten gehen?

Wir fokussieren uns in der Kommission auf drei zentrale Aspekte: Erstens brauchen wir, wie bereits erwähnt, neue Vorstellungen von ökonomischem Erfolg und neue Metriken, um diesen zu messen. Der zweite wichtige Aspekt ist die globale Politik. Während der Covid-Pandemie kam die Idee eines «Pandemic Treaty» auf und die Mitgliedstaaten der WHO arbeiten aktuell daran. Ziel eines solchen Pakts wäre eine Vereinfachung des Datenaustauschs, zusätzliche finanzielle Mittel für Forschung und Entwicklung, vor allem in Hinblick auf die Überwachung von zoonotischen Viren und entsprechenden Frühwarnsystemen. Aber auch die gerechte Verteilung von Impfungen ist Teil eines solchen Pakts. Die ursprünglichen Ambitionen wurden jedoch von einzelnen mächtigen Staaten bereits wieder stark verwässert.

Weil sie fürchten, dass ihre Souveränität in der Pandemiebekämpfung beschnitten wird?

Genau, wir haben ja auch im Westen gesehen, wie Staaten sehr unterschiedlich auf die Pandemie reagiert haben, basierend auf den Einschätzungen der jeweiligen Gesundheitsexperten. Ein solcher globaler Pakt würde vielleicht bedeuten, dass Staaten nicht mehr einfach ihre Grenzen schliessen können, wenn sie wollen. Oder dass sie Impfungen zurückbehalten können, die sie gar nicht benötigen.

Was ist der dritte zentrale Aspekt für die globale Umsetzung einer «One Health»?

Die Ausbildung. Wir sollten das Denken in Abhängigkeiten und das Verständnis für die Verbundenheit von Menschen, Tieren und Umwelt auf allen Ebenen in die Ausbildung einbetten – und zwar weltweit. Wenn Schüler und Studentinnen später einmal in Entscheidungspositionen kommen, egal ob im Finanzbereich, in Public Health oder im Ingenieurwesen, dann sollen sie mit ihrem Wissen zu diesem «radical slow change» beitragen. Dafür ist ein global geteiltes Verständnis für ein gesundes, nachhaltiges, sozioökologisches System unbedingt notwendig.

Viele afrikanische Staaten haben bereits vor dem Auftauchen von SARS-CoV-2 Erfahrungen mit Epidemien gemacht, zum Beispiel mit Ebola. Kann Europa für die Pandemieprävention von afrikanischen Ländern lernen?

Ja und nein. Es gibt heute in Afrika mehr Regierungen mit einer One-Health-Strategie als in Europa. Interessanterweise sind viele dieser Regelwerke mit Unterstützung von Geldgebern aus Europa oder den USA entstanden – meist aus Ländern, die selbst noch keine solche Strategie haben. Das hat eine Kehrseite: Sobald die Geldflüsse für One-Health-Desks, -Büros und -Stellenprozente in den entsprechenden Ministerien afrikanischer Staaten versiegen, schwindet oft auch das Interesse an One-Health-Aktivitäten. Insofern bezweifle ich, ob der Fakt, dass viele afrikanische Staaten eine nationale One-Health-Strategie haben, wirklich damit zusammenhängt, dass die Verantwortlichen das Konzept verstanden und dessen Notwendigkeit erkannt haben.

Während der Covid-Pandemie hörte man jedoch oft, dass afrikanische Staaten besser vorbereitet waren als europäische. Eine Folge der «One Health»-Strategien?

Das stimmt nicht. Wenn man sich die Ausbreitung des Virus während des Höhepunkts der Pandemie anschaut, sieht man keinen Unterschied zwischen afrikanischen und westlichen Ländern; teils war sie in Afrika sogar noch höher. Dass die Todesrate und die Anzahl Hospitalisierungen in afrikanischen Ländern geringer waren, ist vor allem auf unterschiedliche Immunreaktionen zurückzuführen. Dafür gibt es in der Forschung zunehmend Evidenz.

JOHN H. AMUASI wuchs in Ghana auf und studierte Medizin an der «Kwame Nkrumah University of Science and Technology» (KNUST) in Kumasi. Später doktorierte er an der «University of Minnesota School of Public Health» in den USA. Heute ist er Dozent an der KNUST und leitet die Forschungsgruppe Globale Gesundheit und Infektionskrankheiten am Kumasi-Zentrum für kollaborative Forschung in Tropenmedizin. Gleichzeitig ist er geschäftsführender Direktor des Sekretariats des afrikanischen Forschungsnetzwerks für vernachlässigte Tropenkrankheiten (ARNTD). In seiner Forschung konzentriert er sich auf Möglichkeiten zur Verbesserung von Gesundheitssystemen, insbesondre in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. Seit 2020 ist Amuasi Co-Vorsitzender der «The Lancet One Health Comission», einem Expertennetzwerk, das sich mit globalen «One Health»-Themen beschäftigt.

© Yaw Afrim Gyebi
© Yaw Afrim Gyebi
Kommen Sie mit. Ab April 2024 finden Sie alle Geschichten rund um die Humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz auf deza.admin.ch/geschichten.

Wir freuen uns auf ihren Besuch.
Weitere Infos
Wir ziehen um.