Das DEZA-Magazin für
Entwicklung und Zusammenarbeit
DEZA
Ausgabe: 03/2022

Die Juristin Dinara Ziganshina vermittelt zwischen den zentralasiatischen Staaten für eine gerechte Wasserverteilung – und erarbeitet Grundlagen für konfliktträchtige Verhandlungen.

Frau Ziganshina, Sie arbeiten seit über 20 Jahren für die «Interstate Commission for Water Coordination» (ICWC). Diese wurde ein Jahr nach dem Zerfall der Sowjetunion durch die für Wasser zuständigen Minister aus Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und Kirgisistan gegründet, um die Verteilung des Wassers aus den beiden für Zentralasien wichtigsten Flüssen Syrdarja und Amudarja zu koordinieren. Wie kam es zu dieser einzigartigen Kooperation?

Die Gründung der Kommission basierte in erster Linie auf den persönlichen Beziehungen zwischen den damaligen Wasserministern. Diese sind beim Wassermanagement bis heute enorm wichtig geblieben. Die Gründung der Kommission war damals ein wichtiges Zeichen der Minister, Verantwortung für die gesamte Region übernehmen zu wollen. Sie initiierten die Kommission ursprünglich ohne ein Regierungsmandat; das war sehr progressiv. Und es zeigt, welche Entscheidungsmacht diese Ministerien damals hatten.

Weshalb haben sie diese verloren?

Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wurden die für das Wassermanagement zuständigen Ministerien restrukturiert, aufgeteilt und haben an Einfluss und Budgets eingebüsst. In manchen Staaten gibt es heute für Wasser nicht einmal mehr ein eigenes Ministerium, der Bereich ist oft anderen Ministerien angegliedert, zum Beispiel dem Umwelt- oder Energieministerium. Dadurch werden auch die Mandate der Minister bei zwischenstaatlichen Verhandlungen geschwächt.

Dies, obschon die Verfügbarkeit von Wasser für sämtliche zentralasiatische Staaten kritisch ist?

Ja, das ist paradox. Es wird viel darüber geredet, wie wichtig Wasser für die Wirtschaft, für die Entwicklung und die Sicherheit in der Region ist. Aber auf nationaler Ebene werden die Mitarbeitenden der Wasserministerien oft als einfache Diener behandelt. Eigentlich müssten Wasserfragen jedoch in sämtliche wichtigen Regierungsentscheide miteinbezogen werden. Und es braucht dringend Behörden, die internationale Entscheide auch auf nationaler Ebene effektiver durchsetzen können.

Wie sieht die Arbeit der Kommission konkret aus?

Die Kommission tritt viermal im Jahr zusammen, um Fragen der grenzüberschreitenden Wassermanagements zu erörtern. Zweimal im Jahr genehmigt sie die tatsächlichen Grenzen der Wasserzuteilungen. Grundlage dafür sind die Anträge der einzelnen Staaten, die früher festgelegten Grundsätze und die aktuelle hydrologische Situation.

Welches Kriterium ist bei der Zuteilung des verfügbaren Wassers am wichtigsten?

Die verfügbare Landwirtschaftsfläche, die potenziell bewässert werden kann – ein Kriterium, das noch aus der Sowjetzeit stammt. Das ist auch der Grund, weshalb Länder am oberen Flusslauf wie Kirgisistan und Tadschikistan mit vergleichsweise wenig Landwirtschaftsfläche die Verteilung seit langem hinterfragen. Sie wollen das Wasser in erster Linie für die Stromproduktion über Stauseen und Wasserkraftwerke nutzen.

Gibt es Engpässe bei der Verteilung der Wasserressourcen?

Am grössten sind die Probleme in den Sommermonaten während der Bewässerungszeit. Die Fluktuation ist teils enorm, weil diese von der Stromproduktion durch die Staudämme stromaufwärts abhängt. Die Wassermengen variieren je nach Tageszeit um mehrere Kubikmeter pro Sekunde. Für Bauern und die Ökosysteme sind solche Unsicherheiten sehr problematisch. Es geht also weniger um die Gesamtmenge an Wasser, sondern um das Timing bei der Verteilung. Eine grosse Herausforderung sind auch die ungenauen Prognosen zur Wasserverfügbarkeit.

Woher kommt diese Ungenauigkeit?

Die nationalen hydrometeorologischen Stellen, die für die Messungen zuständig sind, sagen uns, es liege an den Messgeräten. Aber die Weltbank und andere Entwicklungsagenturen haben in den vergangenen Jahren sehr viel Geld in Messinfrastruktur investiert. Wir hatten grosse Hoffnungen, dass die Qualität der Vorhersagen dadurch verbessert würde, aber das ist bisher nicht der Fall. Wichtig ist zudem der offene Zugang zu nationalen Wasserdaten für regionale Organisationen wie die unsere. Die von Entwicklungspartnern geförderte Kommerzialisierung von nationalen hydrologischen Daten erschwert diesen.

Wie gehen Sie damit um?

Über globale Netzwerke und unsere Partner in den einzelnen Ländern können wir trotzdem noch auf viele Daten zugreifen. Und wir nutzen immer öfter Satelliten – zum Beispiel für die Überwachung des schrumpfenden Aralsees. Aber auch diese Daten müssen durch Messungen vor Ort verifiziert werden, was leider nicht immer möglich ist.

Laut aktuellen Klimaprognosen wird in Zentralasien künftig deutlich weniger Wasser zur Verfügung stehen. Könnte das zum Zusammenrücken der Staaten führen?

Das hoffe ich natürlich. Aber leider sehen wir oft – und das gilt nicht nur in Zentralasien – dass der Wandel erst mit der unmittelbaren Krise beginnt. Beim Zusammenbruch der Sowjetunion sind die Wasserministerien zusammengerückt und haben die zwischenstaatliche Kommission gegründet. Auch in Jahren mit extremem Wassermangel fand eine gewisse Annäherung statt. Nicht jedoch aufgrund von Prognosen.

DINARA ZIGANSHINA ist stellvertretende Direktorin des wissenschaftlichen Informationszentrums der «Interstate Commission for Water Coordination» (ICWC) für Zentralasien. Die Juristin berät die Kommission rechtlich und wissenschaftlich bei internationalen Verhandlungen. Der Kommission gehören Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und Kirgisistan an. Kirgisistan hat seine Mitgliedschaft 2016 jedoch wegen Unstimmigkeiten eingefroren.

© Samuel Schlaefli
© Samuel Schlaefli
Kommen Sie mit. Ab April 2024 finden Sie alle Geschichten rund um die Humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz auf deza.admin.ch/geschichten.

Wir freuen uns auf ihren Besuch.
Weitere Infos
Wir ziehen um.