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DEZA
Text: Samanta SiegfriedAusgabe: 04/2023

Die digitale Revolution ist längst auf dem Bauernhof angekommen. Per Smartphone lassen sich Pflanzenkrankheiten und ihre Gegenmittel bestimmen, die Bodenfruchtbarkeit messen oder Produkte leichter verkaufen. Doch die Landwirtschaft 4.0 birgt auch Herausforderungen.

Was tun wenn ein Schädling eine Pflanze befällt? Das Smartphone liefert diesen tansanischen Bäuerinnen praktische Hilfestellungen. © Swissaid
Was tun wenn ein Schädling eine Pflanze befällt? Das Smartphone liefert diesen tansanischen Bäuerinnen praktische Hilfestellungen. © Swissaid

«Hallo, ich habe ein Problem. Es sieht so aus, als würde mein Chinakohl von innen heraus ausgefressen. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Danke für eine schnelle Hilfe.» Diese Nachricht spricht Teresia Mpunge, eine Bäuerin von Masasi im Süden Tansanias, um 11:26 Uhr in ihr Smartphone und postet es zusammen mit einem Foto der befallenen Pflanze auf eine digitale Plattform. Um 11:55 Uhr erscheint eine Antwort auf dem Display ihres Smartphones.

«Das ist wohl eine Raupenart, die alles, was sie finden, von der Wurzel her auffressen. Sie müssen schnellstmöglichst entfernt werden. Wenn die Menge überschaubar ist, geht das von Hand, ansonsten mit einer pflanzlichen Spritzbrühe.» Teresia Mpunge ist Teil des Projekts «Macho Sauti» – auf Swahili «Meine Augen, meine Stimme».

Vernetzte Bauernfamilien, vernetztes Wissen

Das Projekt basiert auf der Forschung von Angelika Hilbeck, Senior Scientist für Agrarökologie und Umweltbiosicherheit an der ETH Zürich. In Zusammenarbeit mit dem Forscher Eugenio Tiselli und der Nichtregierungsorganisation (NGO) Swissaid geht sie seit 2011 in Tansania der Frage nach, wie die Digitalisierung helfen könnte, die agrarökologische Landwirtschaft unter Kleinbauern zu verbreiten.

Das Prinzip ist einfach: Kleinbäuerinnen können Probleme fotografieren und sie zusammen mit einer Sprachnachricht in der App posten. Die Nachricht geht an alle, die diese App nutzen: Kleinbauernfamilien sowie lokale landwirtschaftliche Berater oder Wissenschaftlerinnen, die wiederum eine Antwort geben können. Die angewendete Lösung wird ebenfalls digital festgehalten, sodass mit der Zeit eine umfangreiche Datenbank mit passenden Lösungen entsteht.

Jede geschulte Bäuerin gibt ihr Wissen wiederum an eine Gruppe von etwa 15 Bauern weiter, die ein Smartphone erhalten. Laut Blaise Burnier von Swissaid sind aktuell rund 3000 Bauernfamilien miteinander vernetzt: Ziel sei es, 8000 Familien zu erreichen. «Die Sprachnachrichten machen es möglich, das agrarökologische Wissen in einem Land mit geringer Alphabetisierungsrate zu verbreiten», sagt Burnier.

Von der App zur Praxis

Das Forschungsprojekt «AgriPath» untersucht, wie eine App aufbereitet werden muss, damit sie für Bäuerinnen und Bauern zugänglich ist und auch tatsächlich im Arbeitsalltag angewendet wird. «Heute erfordern viele Apps aufwändige Beratung und Begleitung, wenn sie erfolgreich sein wollen», sagt Sonja Vogt, Professorin für Sozialwissenschaften im Bereich Nachhaltige Gesellschaftsentwicklung an der Universität Bern, die das Projekt leitet. «Unser Ziel ist es herauszufinden, wie eine App so konzipiert werden kann, damit sie selbsterklärend ist und die Bäuerinnen und Bauern motiviert, sie zu benutzen.» Dabei gehe es neben technischer, vor allem um sozialpsychologische Forschung rund um die Frage: Wie können digitale Lösungen die gewünschte Verhaltensänderung herbei führen? «Agripath» wird von der DEZA im Rahmen des Forschungsprogramms TRANSFORM unterstützt, das 2020 lanciert wurde.

Beratungsdienste und Vermarktungsplattformen

Szenenwechsel: Ein Bauer in Indien sieht Schädlinge auf seiner Pflanze, die er nicht kennt. Auch er macht ein Foto davon und lädt es in die App namens «Cropwise Grower» hoch. Das Bild wird von dem Algorithmus einer Software analysiert und liefert eine Antwort, die mit 93-prozentiger Wahrscheinlichkeit treffsicher ist: Um welchen Schädling es sich handelt, welches Pflanzenschutzmittel dagegen eingesetzt werden kann, wie viel davon angewendet werden soll und welche Sicherheitsvorkehrungen es zu beachten gilt.

«Dies hilft, dass der Bauer das richtige Mittel korrekt einsetzt und nicht irgendetwas verwendet», sagt Elisabeth Fischer, Leiterin Transformation und Nachhaltigkeit bei Syngenta. Der Agrarkonzern ist einer der weltweit grössten Investoren in digitale Anwendungen für Landwirtschaft. Drohnen, die präzise Düngemittel ausbringen oder selbstgesteuerte Traktoren würden jedoch eher auf Grossbetrieben getestet, zum Beispiel in den USA oder Brasilien.

«Bei Kleinbauern sehen wir vor allem einen Nutzen in der Bereitstellung von Dienstleistungen», sagt Fischer. Etwa von agronomischen Beratungsdiensten oder Vermarktungsplattformen. Die App «Cropwise Grower» werde in Indien bereits von Hunderttausenden Bäuerinnen und Bauern benutzt.

Eine App allein genügt nicht

Die zwei Beispiele haben einen ähnlichen Nutzen, unterscheiden sich jedoch in ihrem Ansatz und in der Reichweite erheblich. Dazwischen gibt es weltweit eine Fülle von Apps, welche die Landwirte in ihrem Alltag unterstützen sollen. Sie können die Bodenfruchtbarkeit oder das Wetter bestimmen, den Marktpreis und die Ernte präzise voraussagen. Sie vereinfachen die Zertifizierung von Betrieben, vernetzen Konsumentinnen mit Produzenten und bieten die Möglichkeit, Transaktionen vom Feld aus abzuwickeln. Hinter vielen Anwendungen liegt das Versprechen, die Erträge zu steigern, die nachhaltige Landwirtschaft voranzutreiben, die Frauen zu stärken und die Jugend zurück aufs Feld zu holen. Kurz: Die digitale Landwirtschaft scheint eine einfache Antwort auf drängende Probleme unserer Zeit. Doch ist sie das auch?

«Es war ein sehr aufwändiges Projekt», sagt Burnier von Swissaid über Macho Sauti. Schliesslich sei es nicht nur darum gegangen, eine App zu installieren, sondern die Bauernfamilien in deren Anwendung zu begleiten. Dabei ging es um vermeintlich simple Dinge, etwa wie man eine pointierte Sprachnachricht macht oder den Akku auflädt. «Eine App allein reicht nicht aus, um die Kleinbauern mit dem nötigen Wissen zu versorgen», sagt Burnier. Die menschliche Wissensvermittlung spiele bei Macho Sauti eine wichtige Rolle, weshalb die Zielgruppe auch deutlich kleiner ist als bei anderen kommerziellen Anwendungen.

Berichte von NGOs bestätigen, dass ohne eine entsprechende Begleitung viele Projekte wieder versanden (s. Randspalte). Macho Sauti wollte das verhindern. «Wir waren seit 2011 immer wieder mehrere Wochen vor Ort, um herauszufinden, was die Bedürfnisse der Kleinbauernfamilien sind und welche digitale Applikation wirklich einen Mehrwert bietet», sagt Angelika Hilbeck. Die ETH-Forschungsleiterin ist überzeugt: Digitale Landwirtschaft ist nur sinnvoll, wenn sie von Anfang an aus der Nutzerperspektive entwickelt wird.

Das werde jedoch in den meisten Fällen nicht getan, kritisiert Hilbeck. «Die meisten Applikationen sind kommerzielle Produkte, die von Firmen aus dem globalen Norden entwickelt werden. Damit die Anwendung so präzis wie möglich wird, müssen die Bauern extrem viele Daten eingeben, teilweise wird ein ganzer Betrieb vermessen. Auch kann niemand voraussehen, wie geschützt diese Daten wirklich sind und ob sie nicht doch für andere Zwecke gebraucht werden», sagt Hilbeck. So könne die Digitalisierung im Agrarsektor ein weiterer Schritt in Richtung Autonomieverlust der Kleinbauern sein, etwa indem traditionelles Wissen verloren gehe.

Kritische Daten

Der Mechanismus für die Zivilgesellschaft und indigene Völker (CSPIM) des UNO-Ausschusses für Welternährung (CFS) veröffentlichte im Juni 2023 ein Statement, das die Digitalisierung in der Landwirtschaft kritisch beurteilt. Zwar sehe man das Potenzial, dass die Ernährungssouveränität gestärkt werden könnte, indem Daten etwa den Austausch über landwirtschaftliche Techniken und agrarökologische Klimaanpassung erleichtern. Der Bericht verweist jedoch darauf, dass künstliche Intelligenz nicht objektiv sei, da sie von menschlichen Programmierern im Einklang mit kommerziellen Interessen entworfen würde. Weiter betonen sie: «Die Digitalisierung findet nicht überall gleichmässig statt, was ungleiche Diskussionsgrundlagen schafft und jene zurücklässt, die keinen Zugang zu eben jenen Technologien haben, die rasch zu einer Voraussetzung für die Teilnahme an Märkten und Entscheidungsprozessen werden.» Auch bestehe die Gefahr einer Dequalifizierung in der Branche, indem das Smartphone das Denken oder gar Handeln für die Bauern und Bäuerinnen übernehme.

Längst nicht alle besitzen ein Smartphone

Die Fragen, sagt Hilbeck, die sich die Bäuerinnen immer stellen sollten, sind «Was bringt die App für einen Mehrwert?» und «Bin ich besser oder schlechter dran, sollte die Applikation ausfallen?». Denn, so Hilbeck: «Unsere App hatte nie das Ziel, etwas zu ersetzen, sondern zu ergänzen.»

Laut Daniel Valenghi, Programmbeauftragter in Äthiopien für Ernährungssysteme bei der DEZA, erreicht die Digitalisierung bisher eher besser situierte Bäuerinnen und Bauern. «Die Energieversorgung und der Internetzugang sind vielerorts ein grosses Problem», sagt Valenghi. Ein Bericht von 2020 zeigt auf, dass von den Kleinbauern weltweit nur 37 Prozent einen Internetzugang haben, längst nicht alle besitzen ein Smartphone.

Auch die DEZA finanziert zahlreiche Projekte, die die digitale Landwirtschaft im Globalen Süden vorantreiben, darunter Macho Sauti. Oder die App Farmbetter, die per Algorithmus die Widerstandsfähigkeit eines Bauernhofs bewerten kann und klimaschonende Anbaumethoden vorschlägt. «Gerade ärmere Kleinbauernfamilien brauchen Internetverbindung und besseren Zugang zur Stromversorgung», sagt Valenghi. Nur so könne das riesige Potenzial, das die digitale Landwirtschaft für den globalen Süden bereithalte, ausgeschöpft werden.

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