Das DEZA-Magazin für
Entwicklung und Zusammenarbeit
DEZA
Ausgabe: 01/2020

Nach der Grundschule in unserem Dorf mussten wir in die Sekundarschule am Fuss des Berges. Damals gab es weder Strassen noch Pfade. Zu dritt oder viert machten wir uns jeweils am Sonntag auf den Weg durch den Wald und über Felsen. Unsere Eltern bauten uns eine kleine Hütte, in der wir unter der Woche wohnten. Freitagnachmittag machten wir uns dann wieder auf den Heimweg. Es war eine harte Zeit, kein Erwachsener kümmerte sich um uns, Telefone gab es nicht, die ganze Woche waren wir ohne Kontakt zu unseren Familien.

An den Wochenenden halfen wir bei der Arbeit im Haus, auf dem Feld und im Wald. Meine Eltern hatten weder Geld noch Essensvorräte – so sammelten wir im Wald Nahrung und Holz für die nächste Woche. Viele meiner Schulkameraden brachen die Schule ab. Den meisten Eltern, auch meinen, war nicht bewusst, wie wichtig eine Ausbildung ist. Sie wollten, dass ich aufhöre, um ihnen zu helfen. Finanziell konnten sie mich nicht unterstützen, manchmal gaben sie mir Reis und Gemüse, aber meistens musste ich selber schauen, wie ich über die Runden kam.

Ich gehöre zu einer ethnischen Minderheit der Hmong. Schulmaterial und Unterricht waren auf Laotisch. In der Primarschule wurde alles noch auf Hmong erklärt, ab der Sekundarstufe mussten wir dann Laotisch sprechen und schreiben. Erst der Kontakt mit den laotisch-sprachigen Mitschülern machte mir mein Anderssein bewusst. Bis heute merkt man, dass Laotisch nicht meine Muttersprache ist. Mein Akzent und meine Aussprache unterscheiden sich sogar von den Hmong-Völkern in anderen Regionen.

Nach dem Gymnasium wusste ich einzig, dass ich weiter lernen wollte. Ein Lehrer schlug vor, mich an der Universität in der Hauptstadt Vientiane für einen Studienplatz zu bewerben. Die Aufnahmeprüfung fand in einem Dorf mit dem Namen KM52 statt, welches mein Vater und ich auf dem Motorrad nach sieben Stunden Fahrt endlich fanden. Ich kam gerade noch rechtzeitig, um die Prüfung abzulegen, und wurde aufgenommen – als einzige aus meiner Klasse. Die ersten Wochen, weit weg von zuhause an der Nationalen Universität Laos, waren hart. Doch mit der Zeit hatte ich Freunde, und schon bald waren wir eine ganze Gruppe. Wir unterstützten uns gegenseitig beim Lernen und auch darin, uns in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Ich studierte Computerwissenschaften, dabei hatte ich bis dahin nie etwas mit Computern zu tun gehabt und hatte selber auch keinen. Nur im Labor konnte ich einen Computer benutzen – zusammen mit drei bis vier anderen Studenten. Ich habe Webseiten und Datenbanken entworfen und alle Codes von Hand aufgeschrieben. Inzwischen habe ich meine erste offizielle Stelle als IT-Assistentin (siehe Box).

Meine Eltern leben immer noch als Bauern oben auf dem Berg. Alle zwei Wochen besuche ich sie. Mein Gehalt erlaubt es mir, weiter zu lernen, meinen Eltern finanziell zu helfen und meiner Schwester den Schulbesuch zu ermöglichen. Das macht mich stolz und hoffnungsvoll für die Zukunft unserer Familie. Wenn ich anderen Menschen, die in Armut leben und mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind, wie ich es damals war, einen Rat geben könnte, würde ich sagen: Seid geduldig, beharrlich, und hört nicht auf zu lernen. Es wird immer Hindernisse geben, manchmal scheinen sie unüberwindlich, aber wenn man vorwärts schaut und nicht aufgibt, kann man im Leben erfolgreich sein. Ich bin ein gutes Beispiel. Ich hatte eine schwierige Kindheit, ich habe extreme Armut erlebt, aber ich musste weitermachen, weil ich wusste, dass es für mich und meine Familie gut sein würde.

«Ich hatte eine schwierige Kindheit, ich habe extreme Armut erlebt, aber ich musste weitermachen, weil ich wusste, dass es für mich und meine Familie gut sein würde.»

MS BAIMOUA ist 1991 geboren und stammt aus einer kleinen ethnischen Untergruppe der Hmong, welche einzig Vornamen, jedoch keine Familiennamen kennt. Sie arbeitet als IT-Assistentin im Projekt Knowledge for Development in Laos beim Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern. Die dabei vorgenommene Bestandesaufnahme von Grundstücken liefert Informationen über Landkonzessionen und die Landnutzung, welche politische Entscheidungsträger darin unterstützen, das Land aus seinem Status als eines der wenigsten entwickelten Länder und aus der Armut herauszuführen. In ihrer Freizeit trifft sich Ms Baimoua gerne im Freundeskreis und hilft ihren Eltern bei der Arbeit im Haus, auf dem Feld und im Wald.

© zVg
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