Das DEZA-Magazin für
Entwicklung und Zusammenarbeit
DEZA
Text: Samanta SiegfriedAusgabe: 04/2023

Die Republik Moldau kämpft seit vielen Jahren mit Abwanderung. Doch die Diaspora birgt auch grosses Potenzial, um die Entwicklung des Landes voranzutreiben.

Victoria Dunford war 21 als sie die Republik Moldau für ein Studienjahr in Richtung England verliess. Ursprünglich wollte sie danach wieder in ihre Heimat zurückkehren, doch es kam anders. Dunford heiratete und wohnt bis heute auf der Insel Wight im Süden Grossbritanniens. «Ich verbringe alle meine Ferien in der Republik Moldau», sagt sie. Dunford blieb ihrer Heimat nicht nur verbunden, sondern setzte sich auch zum Ziel, diese zu einem besseren Ort zu machen.

Im Jahr 2012 gründete sie die NGO MAD-Aid, die zu Beginn ausrangiertes Krankenhausinventar von England in die Republik Moldau transportierte. Mittlerweile hat sie dort einen Ort für Kinder mit Behinderung und ein Altersheim aufgebaut. Für ihr Engagement wurde sie von der moldawischen Regierung ausgezeichnet.

Diaspora in die Entwicklung der Heimat einbeziehen

Dunford ist kein Einzelfall. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 verliessen zahlreiche Moldauerinnen und Moldauer ihre Heimat. Gründe sind fehlende Jobchancen oder Ausbildungsmöglichkeiten, hohe Inflation, mangelnde Infrastruktur und Korruption. Heute lebt rund ein Drittel der Bevölkerung verstreut in über 30 Ländern im Ausland. Zu der Abwanderungswelle beigetragen hat auch, dass Moldauerinnen und Moldauer einen rumänischen Pass erwerben und damit leichter in der EU Fuss fassen können.

Sowohl Victorin mit seinem Schafstall als auch dieser Imker (unten) mit seiner Ausrüstung wurden im Rahmen des Projekts «Migration und Entwicklung» unterstützt. © UNDP
Sowohl Victorin mit seinem Schafstall als auch dieser Imker (unten) mit seiner Ausrüstung wurden im Rahmen des Projekts «Migration und Entwicklung» unterstützt. © UNDP
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Das führte zu einem Teufelskreis: Viele Menschen verlassen wegen fehlenden beruflichen Perspektiven das Land, was jedoch den Fachkräftemangel verschärft und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bremst.

Das Projekt «Migration und Entwicklung», das die DEZA seit 2013 zusammen mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in der Republik Moldau realisiert, will diesem Trend entgegenwirken. Dieses Jahr ist bereits die dritte Phase gestartet. Sie zielt darauf ab, den Zusammenhalt zwischen Einheimischen, Diasporamitgliedern, Rückkehrern und der lokalen Verwaltung zu stärken. «Die wichtigste Erkenntnis war, dass man die Diaspora in die Entwicklung ihres Heimatlandes einbeziehen muss, um etwas zu bewirken», sagt Radu Danii vom DEZA-Kooperationsbüro in Moldawien. «Die Moldauerinnen und Moldauer hängen sehr an ihrem Heimatland, fast alle haben den grössten Teil ihrer Familie zurückgelassen.»

Auch Dorin Toma vom UNDP sieht darin eine Chance: «Der Wunsch, ihre Heimat zu unterstützen und dort zu investieren, ist bei der Diaspora gross.» Und das nicht nur mittels Rücküberweisungen, die laut Schätzungen der Weltbank rund 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

Fachwissen und Ideen einbringen

Das UNDP initiierte 2015 im Rahmen des DEZA-Projekts die Gründung von Heimatvereinen, sogenannten Home-Town-Associations. Diese haben zum Ziel, die Angehörigen der Diaspora mit den Gemeinden zusammenzubringen, in denen sie aufgewachsen sind und sie in die Entwicklung des Ortes einzubinden. Dafür hat das UNDP zuerst die Einführung von umfassenden Datenbanken unterstützt, die es den lokalen Regierungen ermöglicht, Daten über die im Ausland lebende Bevölkerung einzuholen und diese zu kontaktieren. Schliesslich wurden in gross angelegten Kommunikationskampagnen moldauische Emigranten und Emigrantinnen dazu motiviert, solche Heimatvereine in ihren Herkunftsgemeinden zu gründen, und zwar in direktem Kontakt mit dem Bürgermeister, der Bürgermeisterin oder der zuständigen lokalen Behörde.

«Die Idee dahinter ist, dass die Diaspora ihr Fachwissen und ihre Ideen einbringen und sich dabei aktiv an den lokalen Entscheidungsprozessen beteiligen können», erklärt Toma. «Das gibt ihnen das Gefühl, Teil der Lösung zu sein.» Umgekehrt stünden die lokalen Gemeinden der Auswanderung nicht mehr machtlos gegenüber, sondern könnten sich aktiv für eine Veränderung der Situation engagieren.

Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland

Durch den Angriffskrieg in der Ukraine wurde die Republik Moldau im Februar 2022 von einem Tag auf den anderen von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland. Mehr als 940'000 Ukrainerinnen und Ukrainer kamen bisher in die Republik Moldau oder haben diese durchquert. Damit hat das Land, das zwischen Rumänien und der Ukraine liegt, im Verhältnis zu ihren 2,6 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen zu Beginn des Krieges mehr Menschen aus der Ukraine aufgenommen als jedes andere Land in Europa. Die Behörden waren überfordert, die Infrastruktur nicht auf so viele Ankömmlinge vorbereitet. Das UNDP und die DEZA haben im Rahmen des Projekts «Entwicklung und Migration» rund 50'000 Franken bereitgestellt, um auf die Bedürfnisse zu reagieren. Ein Grossteil ging direkt an die Heimatvereine, deren Mitglieder sich am besten um die Unterbringung und Verpflegung der Geflüchteten in ihren Gemeinden kümmern konnten. Letzten Frühling waren über 80 Prozent der Geflüchteten im Land in Privathaushalten untergebracht. Die Kampagne, an der fast 30 Heimatvereine beteiligt waren, trug den Titel «My Locality for Peace».

Damit die Menschen im Land bleiben oder gar zurückkehren

Heute gibt es landesweit 170 solche Heimatvereine, in denen bereits rund 200 Projekte umgesetzt wurden, von denen die lokale Bevölkerung profitiert: Fussgängerwege, Kinderspielplätze, eine verbesserte Wasserversorgung, aber auch kulturelle Angebote oder der Aufbau von touristischer Infrastruktur. Finanziert werden die Projekte zu einem Grossteil von den Diasporamitgliedern und den lokalen Behörden – fehlende Beträge werden im Rahmen des DEZA-Projekts oder mittels Crowdfunding finanziert.

Auch Victoria Dunford war von Anfang an Mitglied eines Heimatvereins. In der kleinen Gemeinde Mihaileni im Norden des Landes, wo der Rest ihrer Familie bis heute lebt, hat sie etwa mitgeholfen, einen Park zu begrünen und Fussgängerwege aufzuwerten. Sie ist auch als Beraterin der Allianz der Heimatvereine engagiert, einer Initiative, die mit Unterstützung der DEZA und des UNDP die bestehenden Heimatvereine zu einem nationalen Dachverband zusammenschliessen will, um ihnen noch mehr Sichtbarkeit zu verleihen.

«Es ist dieses Engagement der Zivilgesellschaft, das langsam aber stetig die Bedingungen schafft, damit die Menschen im Land bleiben wollen oder gar zurückkehren», sagt Dunford. Sie ist überzeugt, dass die nötige Veränderung von den Moldauerinnen und Moldauern selbst kommen muss.

Nationale Programme zur Rückkehr

Im Rahmen des Projekts «Migration und Entwicklung» wurden und werden auch verschiedene landesweite Programme durchgeführt. 2015 hat die Regierung «Diaspora 2025» verabschiedet: Es ist die erste nationale Strategie, die das Engagement der Republik Moldau für alle Bürgerinnen und Bürger ungeachtet ihres Wohnsitzes anerkennt. Weiter unterstützt der Diaspora-Engagement-Hub die im Ausland lebenden Moldauerinnen und Moldauer bei der Umsetzung von Ideen für ihre Heimat. Und erst kürzlich hat das nationale Büro für Diasporabeziehungen ein Programm zur Rückkehr und Wiedereingliederung von Emigranten und Emigrantinnen für den Zeitraum 2023-2027 erarbeitet. Dafür wurden nationale und lokale Interessenvertreter und -vertreterinnen sowie Mitglieder der Diaspora und der moldauischen Zivilgesellschaft konsultiert. Das Programm zielt in erster Linie darauf ab, die im Ausland lebende Bevölkerung zu einem Partner der Regierung zu machen, ihr die Rückkehr zu erleichtern und attraktiv zu gestalten: sei das mit Arbeitsintegration, Hilfe bei der Wohnungssuche oder psychologischer Unterstützung.

Kommen Sie mit. Ab April 2024 finden Sie alle Geschichten rund um die Humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz auf deza.admin.ch/geschichten.

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