Das DEZA-Magazin für
Entwicklung und Zusammenarbeit
DEZA
Ausgabe: 01/2021

Es ist Viertel nach zehn. Ich bin in einem Aussenviertel im Norden von Tunis und schreibe diesen Beitrag in einem Co-Working-Space. Nebenan gibt es ein Kino und eine Galerie. Durch das Panoramafenster dringt angenehmes Licht, draussen zwitschern Vögel. Diese Räumlichkeiten sind zu einem Refugium für junge Leute geworden. Sie kommen hier arbeiten, Kaffee trinken und mit Freunden plaudern. Angetan hat es ihnen auch das Grün und die luftige Terrasse. Ein aus der Zeit gefallener Moment. Die Covid-19-Pandemie ist weit weg.

Man findet hier Zeitschriften, Bücher über die tunesische Revolution wie den Essay «Dégage dégage dégage ils ont dit dégage» von Oussama Khalfaoui und Najeh Missaoui, aber auch den «Guide du Routard» für die Schweiz. Diese Fundgrube an Wissen ist unentgeltlich zugänglich. Ich habe es mir im Lesesaal gemütlich gemacht und geniesse die Ruhe und die friedliche Atmosphäre. An den Tischen rund um mich herum sitzen junge Männer und Frauen, wohl Selbstständige auf der Suche nach Inspiration und Kreativität.

Ich kenne diesen Ort, seit er 2017 in Betrieb genommen wurde. Mein Blick darauf hat sich inzwischen verändert. Ich bin mir bewusst geworden, welch grosse Bedeutung er für die jungen Tunesierinnen und Tunesier hat, die in der Kunst und in der Kultur eine neue Ausdrucksform finden, um für ihre Rechte zu kämpfen.

Zusammen mit dem Musiker Mohamed Benslama haben wir das «La Fabrique Art Studio» für Kreative und Kunstschaffende lanciert. Diese Plattform fördert Geschlechtergleichstellung und Inklusion und vermittelt den jungen Talenten freien Zugang zur digitalen Kunst, dem Sprungbrett von heute. Unser klassisches Bildungswesen kann mit den Hoffnungen der jungen Leute auf Freiheit und Gleichheit nicht mehr Schritt halten. Dabei sind sie mit grossen Herausforderungen konfrontiert: Vertrauensverlust gegenüber dem Staat, archaische Verwaltung, politischer Stillstand, nur zögerlich geförderter Unternehmergeist und eine Wirtschaft, die kaum auf die Beine kommt.

Gleichzeitig haben doch eben diese kreativen und resilienten jungen Leute im vergangenen März die landesweiten Anstrengungen gegen die Covid-19-Pandemie unterstützt. Während des Lockdowns haben sich Facebook-Gruppen und -Seiten darum bemüht, ein breites Publikum abzulenken und zu zerstreuen. Von Frauen getragene Initiativen stechen dabei besonders hervor, darunter ArchiV’Art, Klink oder die DJ Academy for Girls.

«dieser ort hat eine grosse bedeutung für junge Tunesierinnen und Tunesier, die in der Kunst und in der Kultur eine neue Ausdrucksform finden, um für ihre Rechte zu kämpfen.»

ArchiV’Art ist eine von Wafa Gabsi gegründete virtuelle Galerie. Das Start-up-Unternehmen hat die Artists-Against-Corona-Initiative lanciert und Maler und Bildhauerinnen dazu aufgerufen, von ihren online abgewickelten Verkäufen für die öffentlichen Akteure und die Zivilgesellschaft, die gegen die Pandemie kämpfen, eine Spende abzuzweigen. Die Künstler-Booking-Plattform Klink hat zur Linderung von Einkommenseinbussen der Musiker im Anschluss an die vielen Konzerte der Facebook-Gruppe «Corona Live Music» eine virtuelle Solidaritätssammlung organisiert. Die Konzerte wurden zusammen mit virtuellen Apéros gegeben und kamen bei den Zuschauerinnen und Zuschauern gut an. Und das La Fabrique Art Studio hat die DJ Academy for Girls ins Leben gerufen, um jungen DJanes Online-Kurse für elektronische Musik anzubieten.

Und warum sollten Kunst und Kultur nicht mehr denn je im Dienst der Bürgerbeteiligung stehen?

OLFA ARFAOUI ist eine tunesische Artivistin und Feministin. In den letzten zehn Jahren hat sie sich auf Fragen der Geschlechtergleichstellung via Kunst und Kultur spezialisiert. Sie hat das erste Netzwerk weiblicher Talente für digitale Kunst in Nordafrika und im Mittleren Osten gegründet sowie die erste DJing-Schule für Mädchen in Tunesien. Olfa Arfaoui wurde von UN Women und dem Verein Ashoka für ihr Engagement zugunsten von Gleichheit und Diversität ausgezeichnet. Sie hat Filme über die Gleichstellung beim Erben und über Frauen in der Industrie der elektronischen Musik gedreht.

© zVg
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