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DEZA
Text: Samuel SchlaefliAusgabe: 03/2020

Verlässliche Daten sind die Grundlage für gut informierte Entscheide. Mit der Agenda 2030 sind die Erhebungen und Berechnungen von Statistikerinnen und Statistikern auch für die Entwicklungszusammenarbeit wichtiger geworden. Im besten Fall werden sie selbst zu Treibern der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung.

Stolz zeigen Landfrauen in Ahmedabad im indischen Bundesstaat Gujarat ihre Smartphones: Via eine mobile App kaufen und verkaufen diese Unternehmerinnen ihre Landwirtschaftsprodukte und verdienen damit ihren Lebensunterhalt.  © Subhash Sharma/Polaris/laif
Stolz zeigen Landfrauen in Ahmedabad im indischen Bundesstaat Gujarat ihre Smartphones: Via eine mobile App kaufen und verkaufen diese Unternehmerinnen ihre Landwirtschaftsprodukte und verdienen damit ihren Lebensunterhalt. © Subhash Sharma/Polaris/laif

Über 1500 Datenexperten aus mehr als 100 Staaten werden sich im Oktober 2021 am «UN World Data Forum» in Bern versammeln. Darunter Statistiker von nationalen Behörden, Vertreterinnen aus dem Privatsektor, Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Aktivistinnen. Vier Tage lang werden sie eine zentrale Frage diskutieren: Mit welchen Daten, Statistiken und Methoden können sie die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (siehe Kasten) nicht nur messen, sondern selbst zur Realisierung beitragen?

Die acht «Millennium-Entwicklungsziele» für die Periode 2000 bis 2015 umfassten 21 Unterziele und 60 Indikatoren. Bei den Zielen für nachhaltige Entwicklung für den Zeitraum zwischen 2015 und 2030 sind es bereits 169 Unterziele mit 231 Indikatoren. Damit soll die globale Entwicklung umfassender und detaillierter verfolgt werden als je zuvor. Gleichzeitig wird berücksichtigt, dass nachhaltige Entwicklung nur aus dem Zusammenwirken vieler Faktoren resultieren kann.

«UN World Data Forum» 2020 in Bern

Nach Kapstadt (2017) und Dubai (2018) war geplant, das dritte UN-Weltdatenforum (UNWDF) kommenden Oktober im Kursaal in Bern durchzuführen. Aufgrund der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Schwierigkeiten für die Planung einer globalen Veranstaltung wurde das Forum jedoch Anfang Juli auf Oktober 2021 verschoben. Diesen Herbst wird lediglich eine verkürzte Ausgabe des UNWDF-Programms in virtueller Form abgehalten, um auf die wichtigsten Themen einzugehen. Das UNWDF wird durch das Bundesamt für Statistik (BFS) gemeinsam mit dem EDA, weiteren Bundesämtern und der UNO organisiert. Die Veranstaltungsreihe «Road to Bern» zum Thema Daten und Entwicklung wird bis ins Jahr 2021 fortgesetzt. Zudem gründete die DEZA gemeinsam mit dem BFS das «Bern Network on Financing Data for Development». Ein Netzwerk aus Entwicklungs- und Statistikexperten ruft die Staatengemeinschaft dazu auf, die finanzielle Unterstützung für die Statistik in Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen von derzeit 0.33 Prozent der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit auf 0.7 Prozent zu steigern. Kapazitäten in nationalen Statistikämtern und der Wissensaustausch zwischen Staaten sollen künftig stark ausgebaut und internationale Standards gestärkt werden. Am Forum wird dafür ein neuer Finanzierungsrahmen präsentiert, der auch Stiftungen und multilaterale Organisationen einschliesst.

Riesige Datenlücken

Doch es gibt ein Problem: Die meisten Staaten erheben nicht einmal für 50 Prozent der Indikatoren regelmässig Daten. Das steht in der Einleitung zum «Bericht 2019 – Ziele für nachhaltige Entwicklung» der UNO. «In gewissen Staaten werden nicht einmal die grundlegendsten Indikatoren, wie die Bevölkerungszahl und Kindersterblichkeit, regelmässig gemessen», sagt Francesca Perucci, Assistenzdirektorin der statistischen Dienste am UN-Hauptquartier in New York. Die Datenwüsten sind riesig: 18 Staaten mit geringen Einkommen haben von 2009 bis 2018 keine Bevölkerungszählung und -befragung durchgeführt. Dies verunmöglicht die Berechnung der Armutsentwicklung.

Nur die Hälfte der Staaten berechnet die Entwicklung des BIPs anhand von aktualisierten Referenzwerten. Programme zur Stimulierung der Wirtschaft basieren dadurch auf falschen Annahmen. Bei Indikatoren zur nachhaltigen Entwicklung im Umweltbereich, wie zum Beispiel der Wasserqualität oder abgeholzten Flächen, sind die Datenlöcher noch grösser. Dies obschon die Verfügbarkeit von qualitativ hochstehenden Daten selbst Teil der Agenda 2030 ist (im Unterziel 18 zu SDG 17).

Agenda 2030 und die 17 SDGs

2015 einigten sich 193 Staaten auf 17 Ziele für die nachhaltige Entwicklung – die «Sustainable Development Goals» (SDGs). Sie bilden den Kern der Agenda 2030 und sollen durch internationale Kooperation bis 2030 erreicht werden. Die Agenda enthält auch das Versprechen, dass niemand, unabhängig von Geschlecht, Alter, Einkommen und ethnischer Herkunft, beim Verfolgen der Ziele zurückgelassen wird (Leave No One Behind). Die Ziele umfassen unter anderem die Beseitigung von Hunger und Armut, Bildung für alle, Gleichheit unter den Geschlechtern sowie Massnahmen gegen die Klimakrise und gegen die Verschmutzung der Meere. Zur Konkretisierung wurden 169 Unterziele und 231 Indikatoren für deren Messung definiert. Alle Länder sollten für diese Indikatoren regelmässig Daten an die UN übermitteln, welche die Grundlage sind für den jährlichen Bericht «Ziele für nachhaltige Entwicklung». Der Bericht erlaubt einen Überblick darüber, wo die globale Gemeinschaft bei der Umsetzung der 17 Ziele steht, und in welchen Bereichen zusätzliche Aktivitäten nötig sind. Alle Staaten sind zudem eingeladen, ein Monitoring von nachhaltigen Entwicklungszielen zu publizieren, die an den nationalen Kontext angepasst sind.

Nicht ersichtlich: die Verletzlichsten

Das hat weitreichende Folgen. «Unter dem Mangel an Daten leiden vor allem die Verletzlichsten», sagt Francesca Perucci. Eine Geburtsurkunde oder ein Eheschein sind meist die Basis für eine rechtliche Identität und damit Türöffner für staatliche Dienstleistungen, wie medizinische Versorgung oder finanzielle Unterstützung. «Strassenkinder, Menschen mit Behinderungen, Kleinbäuerinnen in entlegenen Gebieten, Indigene – all diese Gruppen tauchen in vielen nationalen Statistiken bis heute nicht auf.» Sie gingen in aggregierten Daten und den daraus berechneten Durchschnittswerten unter, erklärt Perucci.

Ihre Lebenssituation, zum Beispiel Hürden im Zugang zu Wasser, zu Gesundheitsversorgung oder Bildung, bleibt unsichtbar. Dies steht in krassem Widerspruch zu den Versprechungen der Agenda 2030, wonach niemand auf der Strecke bleiben soll (Leave no one behind). Verlässliche Daten, die zeigen, wo Handlungsbedarf besteht und wo Interventionen am wirkungsvollsten wären, sind dafür zentral. Doch: «Investitionen in statistische Werkzeuge sind meist nicht direkt in der Zahl geretteter Leben erkennbar», weiss Perucci. «Für viele Entscheidungsträger haben sie deshalb keine Priorität.»

Die Zauberformel für eine bessere Repräsentation der Verletzlichsten in den Statistiken lautet «disaggregieren». Daten müssten stärker aufgeschlüsselt werden nach Untergruppen mit unterschiedlichen Lebenswelten, abhängig von Geschlecht, Einkommen, Bildung und Wohnort. Dafür sind jedoch Wissen, eine gute Infrastruktur und finanzielle Ressourcen nötig. Die internationale Organisation «Paris21», die auf die Förderung von Statistik in Entwicklungsländern spezialisiert ist und von der Schweiz mitfinanziert wird, hat berechnet, dass jährlich 700 Millionen US-Dollar nötig wären, damit Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Statistiksysteme auf ein verlässliches Niveau weiterentwickeln könnten.

«Big Data» als Lückenfüller

Es ist ein Paradox: Noch nie waren mehr Daten verfügbar als heute und doch fehlt es vielerorts an essenziellen Informationen. Längst produzieren nämlich nicht mehr nur Staaten Daten über ihre Bevölkerung und ihr Verwaltungsgebiet, sondern ebenso private Akteure wie Mobilfunkanbieter, Suchmaschinen-Betreiber oder Social-Media-Plattformen. Unsere Muster bei Einkäufen und beim Reisen, unsere Online-Suchanfragen, unsere Lesegewohnheiten und Filmvorlieben, unsere E-Mails und Social Media Posts – sie alle hinterlassen Datenspuren auf Servern rund um den Erdball. Mit geeigneten Algorithmen lässt sich dieses Meer an unstrukturierten Daten nach Mustern und Informationen durchsuchen. Solche «Big Data Analytics» werden, obwohl teilweise umstritten, heute schon dafür genutzt, um Gesundheitssysteme zu stärken, Pandemien zu bekämpfen (siehe Text zu Covid-19), den öffentlichen Verkehr zu optimieren und Finanzbetrug aufzuspüren.

Big Data Analytics ist auch in Hinblick auf die Agenda 2030 vielversprechend. Sie könnte dazu beitragen, einige der grossen Datenlücken in nationalen Statistiken zu schliessen. Die UN hat das Potenzial erkannt: Mit «Global Pulse» hat sie eine eigene Einheit geschaffen, die neue Instrumente entwickelt, um Big Data und Künstliche Intelligenz für Entwicklung und Nachhaltigkeit zu nutzen. Zum Beispiel durch die Analyse von Geldtransfers und Einkäufen mit mobilen Bezahldienstleistungen. In Kenia nutzt heute nahezu die Hälfte der Bevölkerung den privaten digitalen Zahlungsdienst «M-Pesa». Die dabei anfallenden Daten könnten, richtig genutzt, statistische Erhebungen zu Einkommen und Armut ergänzen (SDG 1/Keine Armut).

Richtig genutzte Daten, welche bei digitalen Zahlungsdiensten wie «M-Pesa» anfallen, können statistische Erhebungen zu Einkommen und Armut ergänzen. © Sven Torfinn/laif
Richtig genutzte Daten, welche bei digitalen Zahlungsdiensten wie «M-Pesa» anfallen, können statistische Erhebungen zu Einkommen und Armut ergänzen. © Sven Torfinn/laif

Durch die Kombination und Abgleichung von Satellitenbildern mit Medien- und Augenzeugenberichten, könnte die illegale Waldrodung besser verfolgt und in Zahlen ausgewiesen werden (SDG 13/Klimawandel). Für solche Anwendungen arbeiten die Fachleute von «Global Pulse» mit Daten von sozialen Netzwerken, Mobilfunkanbietern, Transport- und Postunternehmen sowie Satelliten. Letztere gelten gerade im Bereich der Umweltbeobachtung als besonders vielversprechend. Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) hat 2018 einen umfassenden Bericht ausgearbeitet, mit Ideen und Beispielen, wie Satellitendaten zum Messen der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung beitragen könnten.

Seit einiger Zeit beschäftigt sich auch eine globale UN-Arbeitsgruppe mit Schweizer Beteiligung mit dem Potenzial von Big Data. Dort diskutieren Experten und Expertinnen Fragen rund um Methodologie, Qualität, Technologie, Zugang, Recht, Privatsphäre, Management und Finanzierung. In ihrem Online-Register «Big Data Project Inventory» hat sie über 100 Projekte von nationalen Statistikämtern, Universitäten, UN-Agenturen und multilateralen Organisationen wie der Weltbank gesammelt, die für die Agenda 2030 relevant sind. Die potenziellen Vorteile liegen auf der Hand: Geringere Kosten als bei klassischen statistischen Verfahren, Datenerhebung in Echtzeit, Automatisierung und stärker aufgeschlüsselte Daten.

Abhängigkeiten vermeiden

Doch es gibt auch Vorbehalte gegenüber Big Data Analytics: Alleine die Tatsache, dass «erst» 55 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zum Internet haben, ist problematisch. Frauen nutzen das mobile Internet heute noch deutlich seltener als Männer. Diese «digitale Kluft», die zwischen Geschlechtern, Einkommensgruppen und globalem Norden und Süden besonders tief ist, könnte dazu führen, dass wichtige Personengruppen komplett ignoriert werden. Genau dies soll mit der Agenda 2030 jedoch um jeden Preis verhindert werden.

Steve MacFeely, Leiter Statistik und Information bei der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, machte letztes Jahr in einem Hintergrundartikel im Magazin «Global Policy» darauf aufmerksam, dass «Big Data», darunter Daten von Kreditkarten, Mobiltelefonen oder Suchmaschinen, oft Eigentum von privaten Firmen sind. Wollen die UN oder nationale statistische Ämter diese verwenden, können hohe Gebühren anfallen, oder die Organisationen laufen Gefahr, Eigentumsrechte zu verletzen. Zudem stecken hinter Big Data oft Algorithmen, die einen grossen kommerziellen Wert haben. Deren Eigner haben meist kein Interesse an Transparenz.

Noch immer werden in vielen Ländern keine Daten im Umweltbereich, wie beispielsweise über abgeholzte Waldflächen (oben in Indonesien), oder bezüglich Geburtenkontrollen (unten in Liberia) erhoben. © Ulet Ifansast/NYT/Redux/laif
Noch immer werden in vielen Ländern keine Daten im Umweltbereich, wie beispielsweise über abgeholzte Waldflächen (oben in Indonesien), oder bezüglich Geburtenkontrollen (unten in Liberia) erhoben. © Ulet Ifansast/NYT/Redux/laif

Hinzu kommt: Statistiker lieben Kontinuität. Werden Algorithmen jedoch aus Eigeninteresse von privaten Firmen angepasst, verlieren Statistikerinnen eventuell die Möglichkeit, Indikatoren über lange Zeiträume hinweg zu messen. Solche Abhängigkeiten sind umso riskanter, als die Produktion von Daten im Internet von grossen Marktkonzentrationen geprägt ist. Google hatte 2017 für Online-Suchen einen Marktanteil von 88 Prozent, Amazon von 70 Prozent bei E-Book-Verkäufen und Facebook von 77 Prozent für Social Media auf mobilen Endgeräten. Damit verbunden sind Risiken der Manipulation und des Missbrauchs. Doch Unabhängigkeit und das Vertrauen der Bevölkerung sind das höchste Gut nationaler Statistikagenturen. Und in Zeiten von «Fake News» und «Post-Truth» sind deren Integrität und Verlässlichkeit wichtiger als je zuvor.

Verlässlich, valide und stabil

Auch Georges Simon Ulrich ist kritisch: «99.8 Prozent der verfügbaren Daten sind nicht standardisiert. Sie liefern nicht die Informationen, die wir als Statistiker suchen», sagt der Direktor des Bundesamts für Statistik (BFS). Daten müssten verlässlich und valide sein und über längere Zeit stabile und vergleichbare Ergebnisse liefern – nur dann seien sie für Statistiker wertvoll. Das sei bei vielen Big-Data-Anwendungen nicht gewährleistet. Ulrich ist im Rahmen der Agenda 2030 dafür verantwortlich, die Entwicklung der Schweiz in Hinblick auf die UN-Ziele zu messen und die bundesinterne Koordination der Datenflüsse an die UN zu gewährleisten. Gleichzeitig ist sein Amt an einer Reihe von Aktivitäten zum internationalen Erfahrungsaustausch unter Statistikern beteiligt.

© Kate Holt/eyevine/laif
© Kate Holt/eyevine/laif

Ein wichtiges Qualitätskriterium für Daten sei deren Interoperabilität. Oft sei heute aber nicht gewährleistet, dass Daten für unterschiedliche Stakeholder auf verschiedenen Ebenen nutzbar sind, weiss Ulrich. «Ich würde mir deshalb wünschen, dass die UNO ihre Rolle als globaler, vertrauenswürdiger Datenverwalter und -treuhänder künftig noch weiter ausbaut.» Sein Ideal: Unabhängige und kompetente Statistikämter, wie das BFS, sichern die Interoperabilität der Daten aus öffentlicher Hand, während die UNO dieselbe Rolle auf globaler Ebene einnimmt und für die Festlegung von Metastandards verantwortlich ist.

Die Vereinten Nationen müssten jedoch punkto Tempo, Flexibilität und Kommunikation noch einen Zacken zulegen, um nicht zu riskieren, die Datenhoheit an Private, wie Facebook und Google zu verlieren. «Die UNO verfügt heute über die besten Daten der Welt», sagt Ulrich überzeugt. «Nur ist das bislang leider den wenigsten bewusst.» Am «UN World Data Forum» im Oktober 2021 in Bern haben er und hunderte Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt die Chance, dies zu ändern.

Mit «Big Data» und Apps gegen Covid-19

Die Covid-19-Krise zeigt, wie sehr wir auf verlässliche Daten angewiesen sind. Die Analyse von grossen, unstrukturierten Datenmengen hilft dabei, die Pandemie besser zu verstehen und die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

(sch) John Ioannidis, Epidemiologe an der Universität Stanford, nannte die Covid-19-Krise ein «Evidenzfiasko». Kritische Daten, um den Umfang der Pandemie realistisch abzuschätzen, fehlten und dadurch auch Grundlagen für evidenzbasierte und weitsichtige Entscheidungen, so der Forscher.

Vielerorts zeigten sich strukturelle Schwächen: Gesundheitsbehörden und statistische Ämter waren mit der plötzlichen Nachfrage nach Gesundheitsdaten überfordert. Mancherorts, wo wenig getestet wurde, war die Ausbreitung des Virus nicht verlässlich in Zahlen fassbar. Andernorts blieb die Todesrate im Dunkeln, weil die Todesursache bei Verstorbenen nicht standardmässig erhoben wird und viele Alte nicht im Spital, sondern zuhause sterben – so zum Beispiel in Indien.

Um Datenlöcher zu stopfen, können alternative Quellen wertvoll sein. Während der Ebola-Epidemie von 2014 bis 2016 in Westafrika wurden Mobilfunkdaten (Call Detail Records) von Menschen in Liberia, Guinea und Sierra Leone genutzt, um die Mobilität und räumliche Verteilung von Menschen nachzuvollziehen. Solche Informationen waren für die medizinische und humanitäre Versorgung entscheidend.

Im Fall von Covid-19 sollen Daten von «Contact tracing Apps» auf Smartphones helfen, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Dabei stellen sich jedoch unweigerlich Fragen zum Schutz der Privatsphäre: Eine von der chinesischen Regierung eingeführte und vom Tech-Giganten Alibaba entwickelte App, die anzeigt, wer sich aufgrund von Covid-19-Verdacht selbstisolieren muss, teilt die Daten laut einem Bericht der «New York Times» auch mit der Polizei. Zudem häufen sich Anzeichen, dass die App Stigmatisierung und Misstrauen gefördert hat. In der Schweiz wurde im Juni die «SwissCovid-App» eingeführt, die laut Experten höchsten Anforderungen bezüglich Privatsphäre genügt.

In einem Gastkommentar für «Nature» plädieren der Bioethiker Marcello Ienca und die Bioethikerin Effy Vayena von der ETH Zürich dafür, das Sammeln und Verwerten von Daten dem Risiko einer Pandemie für die öffentliche Gesundheit anzupassen. Zudem müssten die Ziele, die damit erreicht werden sollen, klar definiert und das Vorgehen wissenschaftlich begründet werden. In Taiwan erkennen sie ein gelungenes Beispiel dafür: Die transparente Auswertung und Nutzung von grossen Datenmengen habe zu einer erfolgreichen Reaktion auf Covid-19 beigetragen, ohne damit Misstrauen in der Bevölkerung zu erzeugen.

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