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DEZA
Text: Samuel SchlaefliAusgabe: 04/2019

Die Hydrogeologin Ellen Milnes vom Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe nutzt frei zugängliche Satellitenbilder sowie geologische und meteorologische Daten, um in Flüchtlingslagern Grundwasser aufzuspüren. Im Camp Bidibidi in Norduganda konnte die verfügbare Wassermenge dadurch vervierfacht werden.

2016 flohen beinahe eine Million Menschen vor den Greueln des Bürgerkriegs in Südsudan über die Grenze nach Norduganda. Innert weniger Monate entstanden dort vier riesige Siedlungen, darunter das Flüchtlingslager Bidibidi, auf zuvor praktisch unbewohntem Land. Anfang 2017 mussten 280 000 Menschen mit Wasser versorgt werden, nach UN-Definition mit mindestens 20 Litern pro Tag. Das bedeutet: Rund zwei Milliarden Liter Wasser pro Jahr für das gesamte Camp – eine Herkulesaufgabe.

Basierend auf hochaufgelösten Karten werden an geeigneten Stellen Grundwasserquellen für die Geflüchteten angebohrt.  © DEZA
Basierend auf hochaufgelösten Karten werden an geeigneten Stellen Grundwasserquellen für die Geflüchteten angebohrt. © DEZA

Unergiebige Grundwasserbrunnen

Wenn krisenbedingt plötzlich tausende von Menschen mit Wasser versorgt werden müssen, wie 2017 in Uganda, packt Ellen Milnes ihre Koffer. Die Hydrogeologin ist Angehörige des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) und arbeitet im Rahmen des Schweizer UN-Engagements seit 2014 für das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR). In Krisensituationen koordiniert das UNHCR oft hunderte von Brunnenbohrungen, um so rasch wie möglich an Grundwasser zu gelangen. «Doch viele Grundwasserbrunnen geben so wenig Wasser her, dass die Versorgung der Flüchtlinge ungenügend bleibt», sagt Milnes.

In Bidibidi herrschte deshalb lange Wassernotstand. Für 2.4 Millionen Dollar monatlich musste Wasser mit Lastwagen herangekarrt werden. Milnes entschied, etwas Neues auszuprobieren: Durch die Kombination von frei zugänglichen Satellitenbildern, Höhenmodellen, Daten zu Geologie sowie Informationen zu Regenmengen und Wasserverdunstung versuchte sie die Grundwasserpotenziale rund um Bidibidi hochauflösend zu kartieren. «Zentrale Kriterien dafür sind die Wasserverfügbarkeit aufgrund der Topografie sowie die Morphologie und die Reservoirkapazität, abhängig von der Art und Durchlässigkeit des Gesteins», erklärt Milnes.

Durch Überlagerung verschiedener Karten konnte sie mit einer Auflösung von wenigen hundert Metern prognostizieren, wo Bohrungen nach Grundwasser am erfolgreichsten sind. «Es ist effizienter, dort nach Wasser zu bohren, wo die Reservoire sind, anstelle wie bisher, dort, wo sich die Menschen niedergelassen haben», erklärt Milnes den grundsätzlichen Paradigmenwechsel.

Trend zu grösseren Brunnen

In einem gemeinsamen Projekt des SKH, des UNHCR und der Universität Neuenburg, wo Milnes lehrt, wurde 2018 ein einjähriges Projekt zum grossflächigen Test des Verfahrens in Bidibidi initiiert. «Die ersten Resultate sind vielversprechend», resümiert Milnes. «Wir konnten die verfügbare Wassermenge für das Camp aufgrund unserer Karten um das vier- bis zehnfache erhöhen.» 19 Brunnen, die mit der neuen Methode abgeteuft wurden, lieferten etwa gleich viel Wasser wie 77 herkömmliche Brunnen.

Für Milnes fällt der neue Ansatz mit einem grundsätzlichen Trend zusammen: Weg von kleinen, mit Handpumpen betriebenen Brunnen, mit Kapazitäten von höchstens 300 Litern pro Stunde, hin zu grösseren Brunnen und zentralisierten Wasserversorgungen, mit Kapazitäten von 500 bis 10 000 Litern pro Stunde. Solche Systeme haben einen grossen Vorteil: «Die Wasserqualität kann besser kontrolliert und das Wasser aufbereitet werden.» Bei Hunderten verstreuter Kleinbrunnen ist das schwierig. Durchfallerkrankungen und Choleraausbrüche, wie anfangs 2018 in Ugandas Grenzregion zur Demokratischen Republik Kongo, sind mögliche Folgen.

Ellen Milnes, Hydrogeologin und Teil des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe, inspiziert mittels Kamera ein neues Bohrloch.  © DEZA
Ellen Milnes, Hydrogeologin und Teil des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe, inspiziert mittels Kamera ein neues Bohrloch. © DEZA

Gesamtkartografie des Tschad

Spezialisten der DEZA erstellen gemeinsam mit lokalen Partnern eine hydrogeologische Gesamtkartierung des Tschad. 2019 startete die zweite Phase des Projekts «ResEau», das voraussichtlich bis 2025 dauern wird. «Die Karten bieten eine Basis zur besseren Bewirtschaftung der Grundwasser-Ressourcen und damit für die nachhaltige Entwicklung des Tschad», sagt Marc-André Bünzli, Fachgruppenchef Wasser beim SKH. In der ersten Projektphase wurden über 400 000 Quadratkilometer Wüste im Norden des Tschad kartografiert. Gleichzeitig wurde mit der Universität von N`Djaména ein Masterlehrgang für Hydrologie und GIS aufgebaut.
 

Vom Bohrer herausgebrochenes Gestein  wird nach Bohrtiefe sortiert. Geologen können dadurch die Bodenbeschaffenheit charakterisieren.  © DEZA
Vom Bohrer herausgebrochenes Gestein wird nach Bohrtiefe sortiert. Geologen können dadurch die Bodenbeschaffenheit charakterisieren. © DEZA

Werkzeugkasten für Krisensituationen

Im August hat die zweite, zweijährige Phase des Projekts begonnen. Cyrille Scherrer, Doktorand bei Ellen Milnes an der Universität Neuenburg, wird das «Rapid Groundwater Potential Mapping» analysieren. Vereinzelte Versuche in anderen Regionen Ugandas waren aufgrund spezifischer hydrogeologischer Gegebenheiten weniger erfolgreich. Bestimmte Aspekte der Kartografiemethode müssen deshalb verfeinert werden. Weiter wird Scherrer klären, inwiefern ein Risiko der Übernutzung der Reservoirs besteht. Dafür wurden die Brunnen mit Sensoren zur Messung des Wasserstandes versehen.

Die bereits angefertigten Karten wurden auf der zentralen Informationsplattform «WASH» des UNHCR weltweit zugänglich gemacht (http://wash.unhcr.org/wash-gis-portal/). UN-Organisationen, Entwicklungspartner und NGOs können sich dort über geeignete Bohrstellen informieren. Weitere Karten sollen nun laufend dazukommen; die Methode wird für Flüchtlingscamps weltweit nutzbar gemacht.

Was Milnes besonders freut: Im Auftrag des ugandischen Ministeriums für Wasser und Umwelt wurde im Rahmen des Projektes im November 2018 ein einwöchiger Workshop mit zehn lokalen Hydrogeologen durchgeführt. «Die Regierung erwägt nun, unsere Methode ins nationale Krisenmanagement aufzunehmen – das ist der absolute Idealfall!»

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