Das DEZA-Magazin für
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DEZA
Text: Zélie SchallerAusgabe: 03/2019

Millionen Reisende ziehen Jahr für Jahr um die halbe Welt. Und hinterlassen dabei Spuren in der Umwelt und bei der lokalen Bevölkerung. Trägt nachhaltiger Tourismus zur Armutsreduktion und zum Schutz natürlicher Ressourcen bei, oder ist dies bloss ein Trugschluss?

Ökotourismus am Vulkan Arenal in Costa Rica: Das kleine mittelamerikanische Land ist zum Opfer seines Erfolgs geworden und vermag den Besucherstrom kaum mehr zu bewältigen.  © Eisermann/laif
Ökotourismus am Vulkan Arenal in Costa Rica: Das kleine mittelamerikanische Land ist zum Opfer seines Erfolgs geworden und vermag den Besucherstrom kaum mehr zu bewältigen. © Eisermann/laif

Wie haben Sie Ihre letzten Ferien verbracht? Haben Sie sich an einem Strand in Thailand geräkelt, in einer Institution für hörbehinderte Kinder in Madagaskar gejobbt oder den Schweizer Nationalpark im Engadin durchstreift? Tourismus ist so facettenreich wie die Vielfalt von Reisenden und Reiseprofis. Vor rund zwanzig Jahren ist der sanfte oder nachhaltige Tourismus aufgekommen. Laut Welttourismusorganisation und Umweltprogramm der Vereinten Nationen definiert sich dieser als Aktivität, «die ihre gegenwärtigen und zukünftigen ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen vollumfänglich berücksichtigt und die Bedürfnisse der Besucher, der Industrie, der Umwelt und der Einheimischen integriert».

Ist dieses Konzept eine Modeerscheinung, die gutsituierten westlichen Reisenden ein reines Gewissen verschaffen soll, oder gibt es tatsächlich so etwas wie einen Ausgleich zwischen touristischer Nachfrage und örtlichen Bedürfnissen? Hilft sanfter Tourismus, die Armut zu überwinden und die Natur zu erhalten?
Tourismus ist ein Schlüsselsektor. Er trägt rund ein Zehntel zum globalen Bruttoinlandprodukt bei, bildet in vielen Entwicklungsländern eine der wichtigsten Exportwirtschaften und vermag, viele Stellen zu schaffen. «Mit seinen direkten und indirekten Auswirkungen ist er ein wesentliches Element der Armutsbekämpfung», hält das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) fest, welches für die Schweizer Tourismuspolitik verantwortlich ist und Projekte für nachhaltigen Tourismus auch in Partnerländern der Schweizer Wirtschaftszusammenarbeit durchführt.

Opfer des Erfolgs

In Indonesien starteten die unterstützten Tourismusaktivitäten auf der Insel Flores und wurden dann auf das Land der Toraja, den Tanjung-Puting-Nationalpark und die Wakatobi-Inseln ausgedehnt. Die Bilanz ist laut SECO positiv: «Es wurden Arbeitsplätze geschaffen, und die Existenzgrundlage der lokalen Bevölkerung hat sich verbessert. Zwischen 2014 und 2018 sind 65 Prozent mehr Touristinnen und Touristen an die vier Destinationen gereist und haben fast 60 Prozent mehr Geld ausgegeben.» Allerdings hat dieser Zustrom von Touristen auch Einfluss auf die Umwelt. Stichworte dazu sind ein hoher Wasser- und Energieverbrauch sowie die gefährdete Biodiversität. SECO-Projektleiterin Martina Locher meint dazu: «Die Verbesserung der Lebensbedingungen dank dem Tourismus erlaubt den Menschen, sich der Bedeutung der natürlichen Ressourcen wie etwa Fische, Wälder oder Berge bewusst zu werden. Erfahren Natur und Kultur vor Ort Wertschätzung, tragen Einheimische und Touristen Sorge dazu.»

Tourismusförderung und Umweltschutz sind auch für die DEZA nicht inkompatibel. Im Westen Kosovos hat sie letztes Jahr im Rahmen eines Projekts zur Tourismusförderung und zur Reduktion der Arbeitslosigkeit die Entwicklung der Höhlen von Radavac unweit der Stadt Pejë unterstützt. Zum Schutz der Höhlen wurden der Besuchsbereich angepasst und das Beleuchtungssystem so konzipiert, dass es die Temperatur nicht beeinflusst und die Fledermauskolonien nicht stört. Der Betreiber gewährleistet den Unterhalt des Höhlenwegs; zudem wurde ein Abfallsammelsystem eingerichtet bei dem Kunststoffabfälle zu Granulat rezykliert werden.

Doch nicht immer verläuft die Sache problemlos. In Costa Rica etwa, bekannt für seinen Ökotourismus, droht die Situation zu eskalieren. Das kleine mittelamerikanische Land ist zum Opfer seines Erfolgs geworden, vermag den Besucherstrom kaum zu bewältigen und muss die Tourismusunternehmer zügeln. Manche möchten im Namen des Ökotourismus in Gebiete mit einzigartiger Biodiversität vordringen – auch wenn neue Infrastrukturen und die blosse Präsenz von Menschen zulasten der Fauna gehen. So entwickeln bestimmte Rochenarten beim Auftauchen von Menschen Stresssymptome. «Generell muss man zusammen mit den Gemeinschaften vor Ort eine maximale Besucherzahl festlegen und bestimmen, welche Art von Touristen sie anziehen wollen», sagt die Tourismusexpertin Veronika Schanderl von Swisscontact, einer NGO, die SECO- und DEZA-Projekte umsetzt.

Nachhaltig reisen – wie geht das?

Nicht nur Tourismusprofis müssen mehr Verantwortung übernehmen, auch die Reisenden. «Reisen bedeutet Mobilität, also CO2-Emissionen», hält Christine Plüss, Geschäftsführerin von ‘Fair unterwegs’, fest. Sie empfiehlt allen Reisenden, weniger mit dem Flugzeug zu reisen – «höchstens alle vier Jahre» – und länger vor Ort zu bleiben. Der Genfer Verein Tourism for Help hält die Touristinnen und Touristen dazu an, sich dem Verhaltenskodex der Bevölkerung anzupassen, mit der man in Kontakt kommt. «Die Art und Weise des eigenen Verhaltens kann das Leben und den Alltag der Einheimischen beeinflussen und Begehrlichkeiten und Missgunst wecken», warnt Geschäftsführerin Isabelle Lejeune. Darüber hinaus empfiehlt sie weitere Verhaltensgrundregeln: keine Abfälle hinterlassen, vor Ort einkaufen, Wasser sparen und sich an die Regeln halten.

Qualität oder Quantität?

«Städte und einzelne Hotels beginnen, mit Qualität statt Quantität die Anzahl Gäste zu beschränken, denn jede Wachstumslogik läuft der Nachhaltigkeit zuwider», unterstreicht Christine Plüss, Geschäftsführerin von «Fair unterwegs – Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung» in Basel. «Immer mehr, aber immer noch zu wenige Akteure schlagen diesen Weg ein.» Die Fachstelle ermuntert Tourismusbetriebe dabei, auch Umwelt-, soziale und Gouvernanz-Kriterien zu berücksichtigen. Sie fordert faire Löhne in einem Bereich, der meist billige, kaum qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt. «Überdies machen Frauen einen Grossteil der Beschäftigten aus – nämlich rund 60 Prozent – und erzielen für dieselbe Arbeit ein um 15 Prozent tieferes Einkommen als die Männer», sagt Christine Plüss.

Der Verein erwartet von den Unternehmen auch, dass sie lokale Gemeinschaften berücksichtigen, indem sie zum Beispiel vor Ort einkaufen. Aber können alle von touristischer, allenfalls nachhaltiger Entwicklung profitieren, ohne dass das Sozialgefüge dabei erschüttert wird? «Jede Entwicklung bringt Veränderungen mit sich. Ziel von Swisscontact ist es, diese Veränderungen im Interesse der Bevölkerung und der Umwelt zu begleiten. Dieser Prozess erfordert Zeit, Sensibilität und Empathie», schliesst Veronika Schanderl.

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