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Text: Christian ZeierAusgabe: 02/2019

Um Gewalt an Frauen zu thematisieren, geht die bolivianische Schauspielgruppe Kory Warmis neue Wege. Sie konfrontiert das Publikum mit den eigenen Erfahrungen von Missbrauch und Vergewaltigung – und bricht damit erfolgreich ein Tabu.

© Luis Gandarillas
© Luis Gandarillas

Sie sind eine Theatergruppe wie keine andere. Wenn die Kory Warmis in Bolivien auftreten, dann ist das Publikum erst einmal überrascht. Es sind keine Profis, die da auf der Bühne stehen, sondern Verkäuferinnen, Handwerkerinnen, gewöhnliche Frauen, die man sonst eher auf den Strassen und Märkten antrifft. Und: Es sind keine erfundenen Geschichten, die sie erzählen, sondern ausschliesslich solche, die sie selbst erlebt haben. Geschichten von Gewalt, die ihnen angetan wurde.

Gewalt als grosses Problem

Ein Drittel aller bolivianischen Mädchen erlebt sexuellen Missbrauch vor dem sechzehnten Lebensjahr. Ganze sieben von zehn Frauen machen in ihrem Leben Erfahrungen mit körperlicher Gewalt. Obschon das eine der höchsten Raten der Welt ist, bleibt das Thema vielerorts in Bolivien ein Tabu. «Besonders in ländlichen Gebieten ist es sehr heikel, darüber zu sprechen», sagt María del Carmen Alarcón, Verantwortliche für Kulturprojekte der Schweizer Vertretung in Bolivien. «Deshalb unterstützen wir Kory Warmis. Durch das Theater können die Frauen auf einfache Weise das ausdrücken, was sonst nicht gesagt werden darf.»

Kory Warmis bedeutet «goldene Frauen» in Aymara, der Muttersprache des gleichnamigen indigenen Volkes. Die Theatergruppe wurde 2015 von Erika Andia, einer bekannten bolivianischen Schauspielerin und Regisseurin, ins Leben gerufen. Im Rahmen des Projekts «Mujer en Camino» (Frauen unterwegs), das einen Beitrag vom Kulturfonds der Schweizer Vertretung erhalten hat, wurden die Stücke erstmals von Spanisch auf Aymara übersetzt. «Das ermöglicht uns, vermehrt auch in ländlichen Gebieten aufzutreten», sag Erika Andia. «Das Theater ist für die Frauen eine Möglichkeit, sich selbst zu sein und etwas für sich und die Gesellschaft zu tun.»

Hoffnung auf Veränderung

Die Schauspielerinnen sind zwischen sieben und siebzig Jahre alt. Da ist etwa Gumercinda Mamani Chambi, die traditionelle Röcke herstellt und auf dem Land lebt. Für Aufführungen und Proben lässt sie ihr Haus und ihre Tiere zurück und reist drei Stunden nach La Paz. «Wie viele andere bin auch ich eine Überlebende der Gewalt», sagt sie. Im Alter von 16 Jahren wurde sie von drei Männern angegriffen und misshandelt. Die Täter kamen ungestraft davon. «Ich konnte nichts tun», sagt Gumercinda Mamani Chambi heute. «Erst mit der Zeit habe ich verstanden, dass man mich damals vergewaltigt hat.»

Zusammen mit über zwanzig anderen Frauen hat sie sich deshalb dazu entschlossen, die Kunst des Theaters zu erlernen. Sie investieren einen grossen Teil ihrer Freizeit in das Projekt – nicht für die Show und nicht für den Applaus, sondern für die Hoffnung, dass es den Frauen in Zukunft besser ergeht als ihr selbst. «Mit unseren Geschichten machen wir ihnen Mut», sagt Gumercinda Mamani Chambi. «Sie sollen sich wehren können ohne Angst zu haben.»

Tabubruch auf der Bühne

Tatsächlich trifft das Theater einen Nerv in der Gesellschaft. «Zuerst sind die Zuschauerinnen und Zuschauer schockiert», sagt Erika Andia. «Doch dann identifizieren sie sich mit den Frauen. Sie sehen sich selbst: gewöhnliche Menschen, die viel erlebt haben.» Das funktioniere sowohl in der Stadt als auch in ländlichen Gebieten, so die Regisseurin. «Nach den Aufritten kommen viele Frauen auf uns zu, erzählen ihre eigene Geschichte und möchten sogar mitmachen.»

Dass die Stücke nun auch auf Aymara vorgeführt werden, erleichtert die Kommunikation mit dem ländlichen Publikum. «Es ist wahrscheinlich das erste Mal überhaupt, dass ein Projekt das Thema Gewalt an Frauen auf Aymara anspricht», sagt María del Carmen Alarcón von der Schweizer Vertretung. Laut Cecilia Campos, die als Mitarbeiterin der NGO Solidar Suisse den Kulturfonds im Auftrag der Vertretung betreut, würden zwar viele Institutionen das Thema aufnehmen, doch meistens von aussen und mit einem Ansatz, der vor allem den Kopf anspricht. «Das Theater hingegen berührt die Seelen und Herzen der Menschen», sagt sie. «Das ist das Aussergewöhnliche an diesem Projekt.» Für sie sind die Kory Warmis zudem ein gutes Beispiel für das grosse Talent, das in der bolivianischen Gesellschaft schlummert. «Es gibt so viele, die etwas zu erzählen haben und daran glauben, dass die Kunst etwas verändern kann», sagt Cecilia Campos. Dank Institutionen wie dem Kulturfonds sei es möglich, dieses Talent zu fördern.

Darauf angesprochen, ob sie das Projekt weiterführen werde, reagiert Erika Andia mit einem unmissverständlichen «Claro!». Die Theatergruppe sei für die Frauen eine zweite Familie geworden, so die Regisseurin. «Sie können hier Spass haben und gleichzeitig Teil von etwas Grösserem sein.» Zudem hätten die Schauspielerinnen mittlerweile eine gewisse Bekanntheit erreicht, würden für Anlässe angefragt, sogar für Filmrollen und könnten so das Projekt mitfinanzieren. «Es öffnen sich gerade viele Türen», sagt Erika Andia. Die goldenen Frauen hätten immer versucht, das Publikum direkt im Herzen zu treffen. «Das scheint uns gelungen zu sein.»

© Luis Gandarillas
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