Das DEZA-Magazin für
Entwicklung und Zusammenarbeit
DEZA
Text: Christian ZeierAusgabe: 02/2019

Das duale Bildungssystem der Schweiz ist ein Erfolgsmodell. Immer wieder wird die Entwicklungszusammenarbeit dazu aufgefordert, es in Kooperationsländer zu exportieren, um die dortige Wirtschaft zu stärken. Die Vorteile liegen auf der Hand – wo aber liegen die Grenzen der Übertragbarkeit?

Die Berufsschulen in der Slowakei richten mit Schweizer Unterstützung ihr Angebot vermehrt nach den Bedürfnissen der Unternehmen aus. Das verbessert auch die Berufsperspektiven dieser Bäckerlehrlinge.  © DEZA
Die Berufsschulen in der Slowakei richten mit Schweizer Unterstützung ihr Angebot vermehrt nach den Bedürfnissen der Unternehmen aus. Das verbessert auch die Berufsperspektiven dieser Bäckerlehrlinge. © DEZA

«Schweizer Bildungssystem beeindruckt alle Welt», «Ein deutsches Modell macht Schule», «Exportschlager duale Ausbildung». Das sind nur drei von unzähligen positiven Schlagzeilen zum dualen Berufsbildungssystem im deutschsprachigen Raum. Ob in Deutschland, Österreich oder der Schweiz – das Modell gilt als Erfolg. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatsektor werden diejenigen Fachkräfte ausgebildet, welche die Firmen tatsächlich brauchen; durch die teilweise Ausbildung am Arbeitsplatz bringen sie zudem praktisches und aktuelles Können mit. So ist die Arbeitslosigkeit in Ländern, welche das duale Berufsbildungssystem kennen, tendenziell tief. Immer wieder rufen Politikerinnen und Politiker deshalb dazu auf, das Modell zu exportieren – insbesondere in Länder mit schwacher Wirtschaft und hoher Jugendarbeitslosigkeit. Doch was ist wirklich dran an dieser Idee?

Das grosse Umdenken

Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst einen Blick auf die Anfänge der Berufsbildung in der Entwicklungszusammenarbeit werfen. Die DEZA ist seit mehr als 50 Jahren in diesem Bereich aktiv und lässt sich dabei immer wieder vom dualen System der Schweiz inspirieren. Die Liste der Berufsbildungsprojekte ist lang und reicht von Bolivien über Burkina Faso bis nach Bangladesch. In einer ersten Phase orientierte sich die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) sehr stark am dualen Modell – in Deutschland noch stärker als in der Schweiz. «Man wollte das System quasi eins zu eins auf andere Länder übertragen», sagt Sibylle Schmutz, die das Sekretariat des Geberkomitees für duale Berufsbildung leitet und für die NGO Swisscontact tätig ist.

Doch bald wurde deutlich, dass die Bedingungen für einen solchen Export vielerorts gar nicht gegeben sind. Im einen Land etwa hatte die Berufsbildung einen zu tiefen Stellenwert – im anderen bestimmte der Staat über den Lehrplan, ohne die Bedürfnisse der Privatwirtschaft miteinzubeziehen. «Zahlreiche Versuche, erfolgreiche Modelle in einen anderen Kontext zu transferieren, sind gescheitert», sagt auch Borhène Chakroun, Experte Berufsbildung bei der Unesco. In der Schweiz oder in Deutschland seien die Systeme über lange Zeit gewachsen und würden auf einem komplexen Zusammenspiel zwischen Verbänden, Gewerkschaften, Behörden und der Privatwirtschaft basieren. «Eine Zauberformel gibt es nicht.»

Dem stimmt Andrea Inglin, Beraterin Berufsbildung beim Focal Point Arbeit & Einkommen der DEZA zu: «Heute sprechen wir deshalb vom Import dualer Elemente.» Um herauszufinden, welche Elemente sich übertragen lassen, wird zuerst abgeklärt, wie die Lage im Land aussieht: Was ist die Rolle des Privatsektors? Was diejenige des Staats? Welche Zielgruppen will man überhaupt erreichen? Laut Sibylle Schmutz vom Geberkomitee sei so in den vergangenen Jahren eine differenzierte Diskussion darüber entstanden, was funktioniert und was eher nicht.

Das duale System

In der Schweiz entscheiden sich zwei Drittel aller Schulabgänger für eine Lehre – sie schlagen also den dualen Berufsbildungsweg ein. Dual bedeutet hier, dass die Ausbildung sowohl praktisch im Lehrbetrieb als auch theoretisch in der Berufsfachschule stattfindet: Die Lernenden sind von Beginn an im Betrieb präsent und nahe an der Praxis. Zudem stehen ihnen nach Lehrabschluss zahlreiche Möglichkeiten zur Weiterbildung offen. Sie können etwa zusätzliche Diplome erwerben oder sich an höheren Fachschulen oder Fachhochschulen weiterbilden lassen.

Hürden bei der Umsetzung

Teil dieser Diskussion ist auch das Geberkomitee für duale Berufsbildung selbst. Der Zusammenschluss zwischen Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz soll den Austausch untereinander fördern und die Vorteile der dualen Berufsbildung für die EZA und auf internationaler Ebene besser nutzbar machen. Gemeinsam werden die wichtigsten Dualitätsprinzipien herausgearbeitet und vertreten. «Wir versuchen, Erfahrungen zu sammeln, zu diskutieren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen», so Sibylle Schmutz. «Allgemein gültige Aussagen zu machen, bleibt aber schwierig.»

Klar ist, dass eine erfolgreiche Anwendung dualer Elemente fast immer einen Mentalitätswandel bedingt. In Ländern etwa, wo der Staat ganz alleine für die Bildung zuständig ist, werden oft Arbeitskräfte ausgebildet, die der Nachfrage der Wirtschaft nicht entsprechen. «Um das zu ändern, muss man den Privatsektor an Bord holen und die Zuständigkeiten neu überdenken», sagt Sibylle Schmutz vom Geberkomitee. Dadurch entstünden Ängste und Widerstände. So muss die Regierung ihre Kontrolle teilweise an die Privatwirtschaft abgegeben, Lehrkräfte wiederum sorgen sich um ihre Anstellung. «Diese Akteure wehren sich», so Sibylle Schmutz. «Daher braucht es eine intensive Moderation, um ein Umdenken herbeizuführen.»

Eine weitere Schwierigkeit: Viele Jugendliche und Erwachsene können sich eine drei- oder vierjährige Ausbildung wie in der Schweiz gar nicht leisten. Auf der anderen Seite taucht immer wieder das Problem auf, dass private Betriebe misstrauisch auf die Idee reagierten, Lehrlinge auszubilden und sie dafür auch noch zu bezahlen. «In vielen Ländern dominiert die Angst, dass der Lehrling ein eigenes Geschäft aufmacht und zur Konkurrenz wird», sagt Andrea Inglin von der DEZA. «In der Schweiz funktioniert das System, weil die Unternehmen wissen, dass sie davon profitieren, wenn es einen Pool gut ausgebildeter Fachkräfte gibt.»

Privatsektor steht im Zentrum

Eine Expertenbefragung, die das Geberkomitee 2016 publiziert hat, widmet sich der Frage, welche Elemente des dualen Berufsbildungssystems unter welchen Voraussetzungen in der EZA nutzbar gemacht werden können. Eine der Schlussfolgerungen: Der Aufbau braucht viel Zeit und ist äusserst komplex. Zwar hätten Länder mit dualem System eine geringere Jugendarbeitslosigkeit als andere. Doch das bedeute nicht, dass die Einführung dualer Berufsbildung eine direkte Wirkung auf die Reduktion von Jugendarbeitslosigkeit habe. «Wenn sich solche Wirkungen überhaupt entfalten, dann nur langfristig über Systeme im Reifestadium und über Berufsbildungssysteme als Ganzes», schreiben die Autoren.

Um den gewünschten Effekt zu erreichen, sei es nützlich aber nicht ausreichend, die duale Berufsbildung in der jeweiligen Regierungspolitik festzuhalten. «Staatliche Akteure sind nicht Partner erster Wahl», heisst es in der Studie. Der Einstieg in die duale Berufsbildung gelinge vielmehr über Berufsverbände, Pionierfirmen oder innovative Ausbildungszentren. Viele Projekte arbeiten daher gleichzeitig auf der Gesetzesebene, wo die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein duales Bildungssystem verbessert werden, und auf einer Umsetzungsebene, wo in der Praxis konkrete Projekte entstehen.

Andere Länder, andere Lösungen

Welche Ansätze letztlich Erfolg haben, hängt von den Voraussetzungen im Kooperationsland ab. So bilden etwa albanische Berufsschulen ihre Schülerinnen und Schüler oft in Theorie und Praxis aus, ohne genau zu wissen, was der Arbeitsmarkt verlangt. Hier wurden mit Unterstützung der Schweiz innovative Lernmethoden in den Berufsschulen eingeführt, neue Lehrpläne erstellt, Lehrkräfte ausgebildet sowie Abgängerinnen und Abgänger erfolgreich in den Arbeitsmarkt begleitet.

In westafrikanischen Ländern wie Burkina Faso hingegen sieht die Situation komplett anders aus: Hier sind traditionelle Lehrlingssysteme weit verbreitet, bei denen die Jungen komplett im Betrieb ausgebildet werden, ohne aber einen offiziellen Abschluss zu bekommen. Der Fokus der EZA liegt demzufolge darauf, solche Systeme zu formalisieren und mit schulischen Elementen zu ergänzen.

So sind beide Länder auf ihre Weise gute Beispiele dafür, was möglich ist beim Export des dualen Bildungssystems: Einzelne Komponenten, die auf der Erfahrung der Schweiz gründen, können die lokalen Bedingungen ergänzen. Lösungen müssen also so unterschiedlich sein wie die Branchen, die verfügbaren Partner oder die Kooperationsstaaten selbst.

Armutsreduktion durch Berufsbildung

Die Berufsbildung ist ein Schwerpunkt der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Im Frühjahr 2017 präsentierte die DEZA eine eigene Strategie zur Grundbildung und Berufsbildung. Die dafür einzusetzenden Mittel wurden für den Zeitraum von 2017 bis 2020 um 50 Prozent auf über 600 Millionen Franken erhöht. «Die DEZA konzentriert sich auf die Grund- und Berufsbildung, weil diese unmittelbar zur Armutsreduktion beiträgt», heisst es in der aktuellen Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit.

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