Das DEZA-Magazin für
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DEZA
Text: Samuel SchlaefliAusgabe: 03/2021

Zunehmende Klimaschocks bedrohen das Leben von Millionen Menschen im globalen Süden. Sie haben am wenigsten zur globalen Erhitzung beigetragen, leiden jedoch heute schon am stärksten darunter – so auch in Somalia. Beispielhaft zeigt dort ein breit abgestütztes Projekt mit Beteiligung der Schweiz, wie humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ineinandergreifend die Verletzlichsten dabei unterstützen, sich an die neue Klimarealität anzupassen.

Sorgfältiger und effizienter Umgang mit kostbarer Ressource: Kanäle und Rinnen ermöglichen eine verbesserte Wassernutzung.  © Coopi
Sorgfältiger und effizienter Umgang mit kostbarer Ressource: Kanäle und Rinnen ermöglichen eine verbesserte Wassernutzung. © Coopi

Kevin Mackey arbeitet seit 14 Jahren in Somalia. Während seiner Arbeit als Programmkoordinator für die internationale NGO «World Vision» in Mogadischu ist er oft mit bis zu sechs Wächtern in einem gepanzerten Fahrzeug unterwegs. Bombenanschläge auf Hotels und Konferenzzentren sind in der Hauptstadt Somalias keine Seltenheit. Kevin Mackey bringt so schnell nichts mehr aus der Ruhe. Auch nicht, dass das Land seit Februar wieder einmal ohne offizielle Regierung ist, nachdem Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed, auch Farmajo genannt, sich weigerte, seinen Platz zu räumen. Die angekündigten Wahlen waren schlicht versäumt worden.

Was Kevin Mackey jedoch Sorgen bereitet, ist der Blick auf eine Landkarte Somalias, auf der die meisten Regionen orange eingefärbt sind. Die Farben zeigen, wie bedroht die Ernährungssicherheit ist. Orange ist Stufe 3 auf der 5er-Skala und steht für «Krise», zwei Stufen vor der «Hungersnot». «Wir laufen auf eine verheerende Phase zu, wenn wir nicht bald handeln und mehr humanitäre Hilfe leisten», sagt Kevin Mackey besorgt.

30 Wetterkatastrophen in 30 Jahren

Somalia steckt seit 30 Jahren in einer politischen Krise. Nach dem Sturz des Diktators Siad Barre versank das Land 1991 in einem blutigen Bürgerkrieg. Innenpolitische Konflikte und der Kampf zwischen der Zentralregierung und der militanten islamistischen Miliz al-Shabaab, die weite Teile von Somalias Süden kontrolliert, dauern bis heute an. 2020 kam die Covid-19-Pandemie hinzu, die den isolierten Staat am Horn von Afrika vor allem wirtschaftlich hart traf.

Weitere wichtige Stressfaktoren für die über 15 Millionen Somalierinnen und Somalier sind Wetter und Klima. Seit 1990 hat das Land mehr als 30 klimabezogene Katastrophen erlebt, darunter 12 Dürren und 19 Überschwemmungen unterschiedlicher Intensität – das sind dreimal so viel wie während der Zeitspanne von 1970 bis 1990. Als Kevin Mackey im April auf die Landkarte schaut, bahnt sich gerade eine weitere Dürre an: Die Regenfälle zwischen Oktober und Dezember waren unterdurchschnittlich und Prognosen für die zweite Regenzeit zwischen April und Juni sind düster.

Im Rahmen eines Treffens der lokalen Spar- und Kreditvereinigung werden unter den beteiligten Frauen regelmässig Gelder eingesammelt und verteilt.  © Coopi
Im Rahmen eines Treffens der lokalen Spar- und Kreditvereinigung werden unter den beteiligten Frauen regelmässig Gelder eingesammelt und verteilt. © Coopi

Kevin Mackey weiss, wieviel menschliches Leid die Kulmination von Krieg, fehlender Regierung und klimatischen Schocks anrichten kann: «Als ich 2008 nach Somalia kam war die Situation bereits furchtbar – und mit der Dürre und Hungersnot von 2011 wurde sie noch viel schlimmer.» 260'000 Menschen starben damals an Unterernährung; die Hälfte davon waren Kinder unter fünf Jahren. Die internationale humanitäre Hilfe kam zu spät und erreichte aufgrund der tobenden Kämpfe im Land die am stärksten betroffene Landbevölkerung kaum. Deshalb starteten verschiedene NGOs in Somalia gemeinsam ein langfristiges Projekt an der Schnittstelle zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Ziel des «Somali Resilience Program» (Somrep) bis heute ist, die Widerstandsfähigkeit der Landbevölkerung gegenüber Klimaschocks zu stärken. «Wenn ein Bauer aus Verzweiflung Pickel und Hacke verkauft und in die Stadt zieht, ist es sehr schwierig – und teuer – ihn später wieder aufs Land zurückzubringen», sagt Kevin Mackey, der das Programm heute vor Ort betreut.

Eine wichtige Komponente des Somrep ist die Frühwarnung. Wetter und Klimadaten, welche die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) für Somalia erhebt, fliessen heute in ein nationales Frühwarnsystem, mit dem Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen prognostiziert werden. Das alleine genügt jedoch nicht: «Am Ende sind es die Menschen in den einzelnen Regionen, welche ihr Land bestellen», sagt Kevin Mackey. «Sie müssen etwas mit diesen Daten anfangen können.» Dafür wurden durch Somrep landesweit über 100 sogenannte Frühwarnkomitees gegründet. Deren Mitglieder sind darin geschult, die Klima- und Wetterdaten, die ihnen von den regionalen Behörden übermittelt werden, richtig zu interpretieren und darauf basierend Anpassungsstrategien zu entwickeln.

Bäuerinnen und Bauern kennen Wetter und Klima in ihrer Region bestens. Dieses Wissen fliesst ebenfalls in die Notfallszenarios ein. «Unsere Erfahrung zeigt: Die Dorfbevölkerung reagiert heute schneller und weiss, was zu tun ist, wenn sich ein Sturm oder eine Dürre anbahnt», sagt Kevin Mackey. Zum Beispiel reinigen sie vor starkem Regenfall Abwasserkanäle und graben Rinnen, damit das Wasser besser aus den Dörfern und von den Feldern ablaufen kann.

Widerstandsfähiger gegen Schocks

Nach der Hungersnot von 2011 initiierten in Somalia aktive NGOs gemeinsam das langfristige und breit angelegte Programm «Somali Resilience Program» (Somrep). Dieses arbeitet an der Schnittstelle zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Finanziert wird Somrep heute durch die EU, Deutschland, Schweden, USA, Australien und die Schweiz. Letztere wird in der Periode 2020 bis 2023 rund 15 Prozent der Gesamtkosten von 102 Millionen US-Dollar tragen. Das Programm stärke die Kapazitäten der Menschen auf drei Ebenen, erklärt Dorothee Lötscher, Programmverantwortliche für das Horn von Afrika bei der DEZA: «Sie können Schocks besser absorbieren, sich besser an solche anpassen und durch gesellschaftliche Veränderungen ihre Resilienz längerfristig ausbauen.» Dabei setze man stark auf die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und der Diaspora.

Erodierte Böden, steigende Temperaturen

Laut den letzten für Somalia verfügbaren Klimadaten aus dem Jahr 2013 sind die durchschnittlichen Temperaturen gegenüber der vorindustriellen Zeit bereits um 1,5°C angestiegen. Ohne einschneidende globale Massnahmen könnten diese bis Ende Jahrhundert auf bis zu 4,3°C klettern. Die Konsequenzen sind schon heute spürbar: Lange Perioden ohne Regenfälle führen zu Dürren und komplett ausgetrockneten Böden. Darauf folgen oft kurze, dafür umso stärkere Regenfälle, die zu Überschwemmungen führen – auch weil der trockene Boden kein Wasser mehr aufzunehmen vermag.

Grossflächige Waldrodungen für die Produktion von Kohle lassen in Somalia die Böden erodieren und verschärfen die Klimakrise. © Christoph Goedan/laif
Grossflächige Waldrodungen für die Produktion von Kohle lassen in Somalia die Böden erodieren und verschärfen die Klimakrise. © Christoph Goedan/laif

Hinzu kommen Praktiken der Bevölkerung, welche die Klimakrise weiter verschärfen: Für die Herstellung von Holzkohle – für den Eigengebrauch zum Kochen mangels Alternativen oder für den lukrativen Export nach Kenia – wurde in den letzten Jahren grossflächig Wald gerodet. Böden ohne Vegetationsschutz erodieren und werden unfruchtbar. Über 70 Prozent der somalischen Bevölkerung leben von der Landwirtschaft oder sind Nomaden oder Halbnomaden. Millionen haben in den vergangenen Jahren ihre Lebensgrundlagen – den Boden oder die Tiere verloren. Alleine während der Dürre 2016/17 verendeten in stark betroffenen Gebieten bis zu 60 Prozent der Herden. Die Folge: Die Menschen wandern in die Städte ab oder schliessen sich mangels Alternativen der al-Shabaab an. Beinahe drei Millionen Somalierinnen und Somalier sind heute Flüchtlinge im eigenen Land. In den improvisierten Lagern an der Stadtperipherie rekrutiert die islamistische Miliz regelmässig neue Soldaten.

Mehr Widerstandsfähigkeit gegenüber unberechenbarem Wetter ist ein entscheidendes Element des Somrep. Seit 2013 wurden im ganzen Land 165 Feldschulen für Viehzucht und über 600 für die Landwirtschaft aufgebaut. Dort lernen Viehzüchter wie man die Gesundheit der Tiere sichert oder Futterreserven rechtzeitig einplant. Bäuerinnen lernen wie man durch Düngung mehr Ernte erzielt, welche Mais-, Sorghum- und Bohnensorten wenig Wasser benötigen und sich deshalb besonders für den Anbau eignen. Oder wie man durch einen Mix verschiedener Saaten das Risiko von kompletten Ernteausfällen minimiert. Hinzu kommt Wissen über Marktmechanismen, damit die Bauern auf dem Markt bessere Preise erzielen können.

Viehzüchter während einer Weiterbildung: Über 70 Prozent der somalischen Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. © Somrep
Viehzüchter während einer Weiterbildung: Über 70 Prozent der somalischen Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. © Somrep

Gleichzeitig sind solche Feldschulen auch Hubs, um die Tiere – vor allem Ziegen, Kamele und Schafe – gegen Krankheiten zu impfen und die Gesundheit der Herden zu garantieren. Dafür wurden im Rahmen des Somrep beinahe 1400 Veterinärinnen und Veterinäre ausgebildet. Viehzucht ist ein wesentlicher Bestandteil der somalischen Wirtschaft, darum arbeiten Kevin Mackey und sein Team aktuell auch am Aufbau einer indexbasierten Versicherung für den Tierbestand. Die Versicherung soll an Klima- und Wetterprognosen gekoppelt sein, so dass bei einer herannahenden Krise frühzeitig Gelder ausbezahlt werden, mit welchen Betroffene Medikamente, Futter oder Wasser für den Viehbestand besorgen können.

Für die Finanzierung will Kevin Mackey sowohl internationale Geldgeber, die Regierung als auch Private an Bord holen. Eine Versicherung lohne sich für alle, ist er überzeugt. Dazu macht er einen Vergleich: Viehzüchter, deren Tiere Opfer eines Klimaschocks werden, wird als Teil der humanitären Hilfe oft mit «Cash for Work»-Programmen geholfen. Sie stellen beispielsweise landwirtschaftliche Flächen instand oder helfen beim Aufbau von Trinkwasserinfrastrukturen. Mit dem Lohn können sie sich neue Tiere kaufen.

«Das kostet uns pro Person monatlich 84 US-Dollar», sagt Mackey. «Eine Tierversicherung hingegen kostet basierend auf Erfahrungen aus anderen Ländern nur 22 US-Dollar pro Jahr. Das wäre also ziemlich ökonomisch». Mit finanzieller Unterstützung der Schweiz wurde im Ministerium für Viehwirtschaft bereits eine Stelle etabliert, welche dieses Projekt auf administrativer Seite vorantreibt. Gleichzeitig arbeitet World Vision mit dem «Somali Response Innovation Lab» (siehe Kasten) zusammen, um die Privatwirtschaft zu involvieren und Prototypen für ein funktionierendes System zu entwickeln.

Doch wie sollen Bäuerinnen und Halbnomaden in entlegenen Gebieten in Somaliland oder Puntland sich für eine solche Versicherung registrieren? Geschweige denn die Auszahlungen der Versicherung vor einer Dürre rechtzeitig erhalten? «Über ihr Smartphone», sagt Kevin Mackey. «Praktisch alle Menschen in Somalia besitzen heute ein solches und nutzen bereits Mobile Money für ihre Zahlungen.»

Global vernetzt innovieren

Das «Somali Response Innovation Lab» (Somril) ist Teil eines globalen Netzwerks von Innovationslaboren, die in Konfliktgebieten die humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit mit Forschung, Ideen und Kontakten unterstützen. In Somalia gehört das Labor zu Somrep und unterstützt die involvierten NGOs mit Forschung und Entwicklung. Zu Beginn der Covid-19-Pandemie wurde das Somril zur zentralen Stelle für die Pandemiebekämpfung in Somalia. Noch bevor das Coronavirus im Land nachgewiesen wurde, hatte das Team in Zusammenarbeit mit internationalen Forschungspartnern und dem Gesundheitsministerium die WHO-Anweisungen in die lokalen Sprachen übersetzt und über sozialen Medien breit gestreut. Dazu wurden u.a. 19 Kurzvideos gedreht, in welchen Puppen Kindern und Erwachsenen in ihrer Sprache spielerisch erklären, wie sie sich am besten vor einer Ansteckung schützen.

Ökonomische und soziale Resilienz

Mit Somrep wurden dörfliche Spar- und Kreditvereinigungen gegründet, deren Mitglieder Kredite aufnehmen können, um damit zum Beispiel ein kleines Geschäft zu eröffnen oder Tiere zu kaufen. Im Fokus stehen dabei Frauen und Jugendliche, von denen heute über 60 Prozent arbeitslos sind. Dieser Zusammenschluss von Dorfbewohnerinnen und -bewohner – inzwischen gibt es 240 - sind aber auch wichtige Treffpunkte und dienen als soziale Netzwerke.

Frauen organisieren sich untereinander und werden wirtschaftlich autonomer und selbstbewusster, was sie ermutigt, sich auch in anderen Interessengruppen zu engagieren. «Ich bin grundsätzlich sehr optimistisch was die weitere Entwicklung Somalias angeht», sagt Kevin Mackey. Viel sei in den letzten Jahren erreicht worden; die Fähigkeit auf Klimaschocks zu reagieren sei heute grösser.

Eine Bäuerin zeigt stolz ihre Zitronen: Ausbildung und Diversifikation erhöhen die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Klimarealität.  © Somrep
Eine Bäuerin zeigt stolz ihre Zitronen: Ausbildung und Diversifikation erhöhen die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Klimarealität. © Somrep

Doch mit Blick auf die orange eingefärbte Landkarte, macht ihm die nahe Zukunft Sorgen. Somrep umfasse zwar Programmbestandteile, um bei kleineren Krisen kurzfristig humanitäre Hilfe zu leisten. Die aktuelle Dürre und die sich abzeichnende Hungerkatastrophe übersteige jedoch die Mittel des Programms.

Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) gab Ende April bekannt, dass von den 1,09 Milliarden US-Dollar, welche für humanitäre Hilfe in Somalia voraussichtlich benötigt werden, bislang nur 15 Prozent von internationalen Geldgebern zur Verfügung gestellt wurden. Essrationen für 400'000 Somalierinnen und Somalier mussten aufgrund von fehlenden Geldern bereits halbiert werden.

Eine Million Kinder sind akut oder stark unterernährt; 50'000 könnten ohne baldige Hilfe sterben. «Wenn die internationale Gemeinschaft nun nicht eingreift, dann werden wir sehr viel von der Resilienz verlieren, die wir in den letzten Jahren aufgebaut haben», sagt Kevin Mackey.

IC Forum Switzerland 2022: Entwicklung und der Klimawandel

Vom 31. März bis zum 1. April 2022 organisiert die DEZA in Genf zum ersten Mal das International Cooperation Forum Switzerland zu Fragen rund um die Internationale Zusammenarbeit (IZA) und deren Wirksamkeit bezüglich des Klimawandels. Im Zentrum stehen unter anderem folgende Fragen: Wie wirkt sich der Klimawandel in Bezug auf die Zielsetzungen der Agenda 2030 aus? Welche Rolle soll die IZA im Systemwechsel spielen, der nötig sein wird, um die globale Erhitzung einzudämmen? Wie müsste sich die IZA selbst wandeln, um die nötige Wirkung zu erzeugen? Und wie können Entwicklung und Klimaschutz in Einklang gebracht werden?

Lesen Sie mehr über das IC Forum Switzerland 2022 in der nächsten Ausgabe von EINE WELT.

Der Jugend- und Zukunftspreis der Schweiz «Together we’re better 2022»

Wichtiger Aspekt des IC Forums Switzerland ist der aktive Miteinbezug der Jugend, deren Wissen und Engagement für eine nachhaltige IZA gefördert werden sollen. Deshalb suchen DEZA und SECO suchen erneut Projekte, Initiativen und Ideen von jungen Menschen unter 35 aus der Schweiz, die zur nachhaltigen Entwicklung und Armutsbekämpfung in einem Schweizer Partnerland der internationalen Zusammenarbeit beitragen.

Eingabeschluss ist der 30. November 2021. Die Preisverleihung findet am IC Forum Switzerland statt.

Kommen Sie mit. Ab April 2024 finden Sie alle Geschichten rund um die Humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz auf deza.admin.ch/geschichten.

Wir freuen uns auf ihren Besuch.
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