Das DEZA-Magazin für
Entwicklung und Zusammenarbeit
DEZA
Text: Zélie SchallerAusgabe: 02/2018

IN DIESEM DOSSIER

  • Artikel: GRATWANDERUNG IN DIE ZUKUNFT

  • Infobox: VON DEN ANDEN ÜBER CHINA BIS ZUM WELTFORUM

  • Interview: ALS BERGLER SCHAUE ICH HOFFNUNGSVOLL IN DIE ZUKUNFT

  • Artikel: SCHRUMPFENDE GLETSCHER – STEIGENDE GEFAHREN

  • Artikel: KOSTBARE BERGWÄLDER

  • Artikel: EIN STEINIGES UNTERFANGEN

  • FACTS & FIGURES

GRATWANDERUNG IN DIE ZUKUNFT

Bergregionen sind die Wasserschlösser der Welt und deshalb von zentraler Bedeutung für Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Biodiversität. Als Ökosysteme reagieren sie speziell sensibel auf die Auswirkungen des Klimawandels und sind entsprechend stark bedroht. Dabei stehen sie für Ansätze einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung.

Im Valle Sagrado im peruanischen Hochland, auf über 3000 m. ü.M., beackert ein Kleinbauer sein Land noch von Hand. © Thomas Linkel/laif
Im Valle Sagrado im peruanischen Hochland, auf über 3000 m. ü.M., beackert ein Kleinbauer sein Land noch von Hand. © Thomas Linkel/laif

Berge faszinieren als Ausdruck der Naturgewalten. Wir staunen angesichts verschneiter Gipfel und Gletscherseen des Himalayas. Spektakuläre Anden- oder Alpenlandschaften lassen uns verstummen. Uns weniger geläufige Gipfel wie der Elbrus im Kaukasus oder das Futa-Dschalon-Massiv in Westafrika sind nicht weniger beeindruckend. Berggebiete machen etwa ein Viertel der Erdoberfläche aus und beherbergen zwölf Prozent der Weltbevölkerung, wovon über 90 Prozent in Entwicklungsländern lebt. Sie versorgen die Hälfte der Menschheit mit Süsswasser zum Trinken, Kochen und Waschen. Und mit dem blauen Gold der Gletscher lassen sich nicht zuletzt Felder bewässern und Stromturbinen antreiben.

Überdies fungieren die Ökosysteme der Berge als Vorratskammern der weltweiten Biodiversität. Etwa jede dritte Pflanzenart unseres Planeten ist in den Bergen beheimatet – wo die Lebensbedingungen hart sind. Bergbewohner gehören denn auch zu den ärmsten Bevölkerungsschichten der Welt. Aufgrund ihrer Abgeschiedenheit haben sie oft nicht einmal Zugang zur Grundversorgung im Gesundheits- und Bildungswesen. Nicht selten werden sie politisch, sozial und wirtschaftlich an den Rand gedrängt. Kommt hinzu, dass sie bei Lawinen, Erdrutschen und plötzlichen Hochwassern beim Durchbruch von Gletscherseen um ihre nackte Existenz fürchten müssen. Der Klimawandel wird Häufigkeit und Intensität solcher Extremereignisse steigern. Starke Regenfälle, hohe Temperaturen und das rasche Abschmelzen der Gletscher erhöhen die Risiken zusätzlich.

BERGBEWOHNER GEHÖREN ZU DEN ÄRMSTEN BEVÖLKERUNGSSCHICHTEN DER WELT. SIE HABEN OFT NICHT EINMAL ZUGANG ZUR GRUNDVERSORGUNG IM GESUNDHEITS- UND BILDUNGSWESEN.

Der Gletscherschwund gefährdet die Ernährungssicherheit, mittelfristig ver- schärft er die Wasserknappheit und bedroht die Lebensweise von Millionen Menschen in der Höhe, aber auch in tieferen Lagen. In den tropischen Anden sind die Gletscher innert vier Jahrzehnten um rund 40 Prozent geschrumpft. Wasser im Überfluss ist die unmittelbare Folge dieses Schwunds – aber später sinkt die Abflussmenge der Gewässer.

«Diese Entwicklung wirkt sich bereits auf Bevölkerung, Stromgewinnung, Landbau, Tourismus, Städteentwicklung, gesellschaftliche Beziehungen, ja sogar auf Spiritualität und kulturelle Praxis und Werte aus», bemerkt Professor Christian Huggel vom Geografischen Institut der Uni Zürich.

Im peruanischen Chucchún-Tal wurde einst Eis zur Herstellung eines Sorbets, der Raspadilla , abgebaut. Sie war nicht nur eine bedeutende Einkommensquelle, sondern auch eine in der Bevölkerung verankerte Tradition. Heute wird die Raspadilla aus industriell hergestelltem Eis zubereitet. Beschaffenheit und Geschmack sind nicht mehr dieselben. Manche Völker gehen so weit, ihre Überzeugungen infrage zu stellen, weil sie realisieren, dass ihre Gaben und Segnungen das Wasser nicht herbeizuwünschen vermögen.

Kaffee auf den Gipfeln

In 40 Jahren wird die Bevölkerung der Andenhochländer nur noch über 60 Prozent der aktuell vorhandenen Wasserressourcen verfügen. Landwirtschaft und Viehzucht in der Puna, im Südosten Perus, sind bedroht. Passen sie sich nicht an, werden die Bewohner nicht anders können, als das Land ihrer Vorfahren zu verlassen. Die Kleinbauern müssen sorgsamer mit dem Wasser umgehen und unter wechselnden klimatischen Bedingungen den Aussaatzeitpunkt neu ansetzen, um ihren Ertrag zu steigern. Manche produzieren neue Sorten Früchte. Was noch vor wenigen Jahren aufgrund zu tiefer Temperaturen undenkbar war, ist in manchen Hochgebirgszonen heute möglich, beispielsweise der Anbau von Passionsfrüchten oder Kaffee. In Indien setzt die Bevölkerung am Fuss des Himalayas bereits auf Reissorten, deren Anbau mit weniger Wasser auskommt.

Im zerklüfteten Hochland Nepals ermöglichen Hängebrücken der Bevölkerung nicht nur den Zugang zu Märkten, sondern auch zu medizinischer Versorgung und zu Schulbildung.  © Franck Guiziou Hemis/laif
Im zerklüfteten Hochland Nepals ermöglichen Hängebrücken der Bevölkerung nicht nur den Zugang zu Märkten, sondern auch zu medizinischer Versorgung und zu Schulbildung. © Franck Guiziou Hemis/laif

Im nepalesischen Kavre-Distrikt wird ein Biodünger aus Rinderurin und Stroh genutzt, um die Ertragsausfälle in Trockenzeiten zu reduzieren. Das von der DEZA unterstützte International Centre for Integrated Mountain Development fördert einfache Lösungen für Anliegen der Landbevölkerung. «Mit diesen genialen Methoden konnte ich meine Erträge und damit mein Einkommen steigern», erzählt die Bäuerin Sita Neupane. «Inzwischen schätzt man mich für mein Know-how.»

Generell müssen Anbaumethoden und Technologien vielfältiger werden; so lassen sich die natürlichen Ressourcen schonen und die Agrobiodiversität wird höher, betont die Welternährungsorganisation (FAO). Ohne diese Anpassungen verarmen die Familien zusehends. Die Männer werden noch stärker in die Emigration gedrängt und lassen Frau und Kinder über lange Zeiten allein zurück. Dabei lastet auf diesen sowieso schon viel Schwerarbeit. Weil die Ressourcen der Natur übernutzt sind, müssen sie immer grössere Distanzen zurücklegen, um Feuerholz und Futter herbeizuschaffen. Die möglichen Folgen davon sind «Ernährungsdefizite, zunehmende Abwanderung oder gar die Ausbeutung von Mädchen und Frauen zugunsten der Städte in den Ebenen», warnt die FAO.

Mehr Vertrauen in die Frauen

Die Bevölkerung abgelegener Täler Tadschikistans und Pakistans sind bei Naturkatastrophen oft tagelang auf sich gestellt, bevor Hilfskolonnen sie erreichen. Mit Unterstützung der DEZA hat die Aga Khan Agency for Habitat Freiwilligen Reaktionen und Methoden beigebracht, die sie in ihren Gemeinschaften vor, während und nach einem Ereignis umsetzen sollen. Die Teams bestehen aus gleich vielen Frauen und Männern. In Regionen, wo Frauen traditionell nur eine eingeschränkte Rolle spielen, ist diese Zusammensetzung eine Herausforderung – dabei sind sie es, die sich als erste am Ort einer Katastrophe einfinden, wie die Uni Bern in einer Studie hervorhebt. Man fasst eher Vertrauen zu ihnen. «Die Überschwemmungen hinnehmen, das war unser einziger Gedanke mitten in der Finsternis und während es goss. Eine Frau hat uns dann an einen sicheren Ort geführt. Einem Mann wären wir wohl nur ungern gefolgt», erzählt Bibi Sharifa aus Brep in Pakistan.

Wirtschaftliche Entwicklung

Zwar stehen die Berggebiete vor grossen Herausforderungen, aber an sich sind sie dafür gerüstet. «Die in diesen Gebieten beobachtbare Geschwindigkeit der Veränderungen sowie deren grosse Vielfalt an Arten und Ökosystemen machen sie zu einem perfekten Labor, nicht bloss um die Auswirkungen der Klimaerwärmung zu erforschen, sondern auch, um nach Lösungen zu suchen», unterstreicht DEZA-Klimaexperte Manfred Kaufmann. Sie bilden ein eigentliches Aktionsfeld im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Sofern man sie schützt, bieten die Berggebiete viele Einkommensmöglichkeiten. Natürlich schadet der Rückgang der Schneefälle der Tourismusindustrie in manchen Regionen und zieht zunächst hohe wirtschaftliche Verluste nach sich, aber unter Einbindung der Bergbevölkerung lassen sich der Öko- und Agrotourismus entwickeln.

Die Herstellung von hochwertigen Artikeln ist ebenfalls ein lohnendes Geschäft. Biologische und handwerkliche Produkte sowie Kräuter und Heilpflanzen werden immer mehr ge- schätzt. Die Mountain Partnership, eine freiwillige internationale Allianz zur Verbesserung der Lebensumstände der Bergbevölkerung und zum Schutz ihrer Lebensräume, fördert vielversprechende Waren. So unterstützt sie im Antiatlas in Marokkos Süden die Produktion von Safran zur Aufbesserung der Einkünfte der Dorfgemeinden und zur Entwicklung der Region.

Kurz nach dem Erdbeben von 2015 mit über 9000 Todesopfern wurde in Nepal mit Schweizer Unterstützung eine Maurerinnen- und Maurerausbildung für erdbebensicheres Bauen ins Leben gerufen.  © DEZA
Kurz nach dem Erdbeben von 2015 mit über 9000 Todesopfern wurde in Nepal mit Schweizer Unterstützung eine Maurerinnen- und Maurerausbildung für erdbebensicheres Bauen ins Leben gerufen. © DEZA

Eine weitere Einkommensquelle sind Entschädigungen für Umweltdienstleistungen wie Wasser, Biodiversität und Energie. «Darauf zu achten, dass die Bergbevölkerung eine integrale Kompensation für die von ihr bereitgestellten Güter und ökosystemischen Dienstleistungen erhält, verbessert die Lebensgrundlagen vor Ort und reduziert die Armut in den Berggebieten», schreibt die Uni Bern in einer von der DEZA finanzierten Studie. Insbesondere im Wassersektor besteht ein hohes Potenzial zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Berggebieten und Niederungen – mit Vorteilen für beide Parteien.

Probleme wie Entwaldung, Armutsreduktion, Wassermangel, die Auswirkungen des Klimawandels sowie der Übergang zu einer ökologischen Wirtschaft sind ohne nachhaltige Entwicklung der Berggebiete nicht zu bewältigen. «Wir wissen, dass Investitionen in diesem Bereich langfristig Vorteile für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung nach sich ziehen», schliesst Manfred Kaufmann.

Sichere Wohnstätten

In Nepal ist die Prävention von Naturkatastrophen von entscheidender Bedeutung. Nach dem Erdbeben von April 2015 mit rund 9000 Todesopfern hat ein von der DEZA mitfinanzierter Beschäftigungsfonds eine Ausbildung zum Maurerspezialisten für erdbebensicheres Bauen ins Leben gerufen – 3000 Personen absolvierten den 50-tägigen Kurs. «Wir bieten ihn in erster Linie den allerärmsten Arbeitslosen an», erläutert der Modul-Verantwortliche Ganga Bahadur Bishwakarma. Letztlich sollten die Ausgebildeten und die Nachbarn, denen sie ihre neuen Kenntnisse vermitteln, mindestens 4000 Wohnungen wiederaufbauen können. Dilli Gubaju ist in eine neue Modellwohnung in Chuchure im Distrikt Ramechhap eingezogen. «Dank horizontalen Holzankern ist unser Haus solider als das ursprüngliche Gebäude, es sollte alle neuen Beben aushalten», sagt der junge Diplomand. «Heute bin ich glücklich, anderen beim Bau ihrer eigenen, sichereren Häuser helfen zu können.»

© Zeichnung von Jean Augagneur
© Zeichnung von Jean Augagneur

DIE DEZA UND DIE BERGGEBIETE

Von den Anden über China bis zum Weltforum

Von ihrer Topografie her kennt die Schweiz die Herausforderungen bestens, die sich in einem gebirgigen Umfeld stellen. Seit langer Zeit bringt das Alpenland seine Erfahrungen am Fuss der höchsten Gipfel überall auf der Welt ein. Die DEZA verbessert die Lebensbedingungen der bedürftigsten Bevölkerungsgruppen in allzu oft vernachlässigten Bergregionen. Dieses Engagement erweist sich als äusserst wichtig, denn die Anzahl von Ernährungsunsicherheit betroffener Menschen hat in den letzten Jahren unablässig zugenommen. Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die am meisten Benachteiligten darin, sich dem Klimawandel anzupassen und sich gegen die zunehmenden Naturkatastrophen zu wappnen. Es geht darum, Resilienz und Wohlbefinden der Bergbevölkerung ohne Zugang zur Grundversorgung zu steigern.

Hängebrücken in Nepal, Bewässerungsanlagen in Tadschikistan

In Osteuropa arbeitet die DEZA mit der Bevölkerung vor Ort, um lokale Produkte und einen nachhaltigen Tourismus zu fördern. In Nepal unterstützt die Schweiz den Infrastrukturausbau seit über 50 Jahren. Sie hat den Bau und die Erneuerung von 500 Kilometer Strassen und von rund 5000 Hängebrücken unterstützt. In Tadschikistan modernisiert sie Bewässerungsanlagen. Sie verfolgt damit ein doppeltes Ziel, nämlich die Produktivität der Bauernbetriebe zu erhöhen und das Überschwemmungsrisiko zu senken. In Peru studieren Schweizer Wissenschaftler mit Unterstützung der DEZA den Gletscherrückgang, um die künftige Wasserbilanz zu extrapolieren und Naturkatastrophen vorzubeugen. Das Abschmelzen der Gletscher betrifft auch China, wo die Durchschnittstemperaturen stetig steigen. In der Provinz Xinjiang haben Schweizer Experten ein Überwachungs- und Warnsystem aufgebaut.

Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit engagiert sich aber auch auf dem internationalen politischen Parkett. Sie trägt zur Berücksichtigung der Bergregionen bei der Umsetzung der im Rahmen der Vereinten Nationen vereinbarten Grundsätze nachhaltiger Entwicklung sowie bei den Analysen des zwischenstaatlichen Gremiums für Klimaänderung bei. Ausserdem hat die DEZA das Weltforum der Berge gegründet. Diese Erfahrungs- und Strategie-Austauschplattform zur nachhaltigen Entwicklung der Gebirgszonen findet alle zwei Jahre statt.


«ALS BERGLER SCHAUE ICH HOFFNUNGSVOLL IN DIE ZUKUNFT»

Eklabya Sharma ist Vizegeneraldirektor des International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD) in Kathmandu, Nepal, und kennt als solcher die vielfältigen Herausforderungen an Bergregionen, insbesondere angesichts des Klimawandels.

Herr Sharma, was genau macht das von der DEZA unterstützte ICIMOD?

Klimawandelwissen erweitern, Erkenntnisse vermitteln, die Bergbevölkerung ermächtigen – dies alles steht im Zentrum unserer Aktivitäten zugunsten von acht Ländern der Hindukusch-Himalaya-Region, also Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, China, Indien, Myanmar, Nepal und Pakistan. Wir verbinden Wissenschaftler, Politiker, Gemeinschaften in den Bergen sowie in den Ebenen und arbeiten entlang von sechs Achsen: die Resilienz der Bevölkerung, die Bewirtschaftung von grenzüberschreitenden Landschaften, Flusseinzugsgebieten und der Kryosphäre, ein regionales Informationssystem, der Aufbau von Wissens- und Aktionsnetzen sowie der Schutz der Erdatmosphäre.

Wie lässt sich letztere denn verbessern?

Mit Überwachungs- und Beobachtungsstationen sowie Satelliten halten wir Emissionsquellen und atmosphärische Veränderungen fest, um Änderungen in der Region anzustossen. Wir fördern beispielsweise energieeffiziente Technologien in der Backsteinproduktion. Die weltweite industrielle Entwicklung hat zu einer signifikanten Treibhausgaserhöhung geführt, die die Berggebiete belastet. Die Luftverschmutzung hat schwere Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Ökosysteme. Dichter Dunst und immer mehr Winternebel verschlechtern die Sichtverhältnisse und schaden der Lebensgrundlage der Ärmsten, dem Luftverkehr und dem Tourismus.

Besorgniserregend ist auch das Ressourcenproblem.

Es ist zentral. In den Bergen ist die Bevölkerung ärmer als anderswo, obschon sie über die wichtigsten natürlichen Ressourcen verfügt. Im Himalaya-Hindukusch leben 240 Millionen Menschen in den Hügeln und Berggebieten, in den Becken der zehn grossen Ströme dagegen 1,9 Milliarden. Das Wasser aus den Bergen bewässert die Ebenen und gewährleistet die Ernährung von drei bis vier Milliarden Menschen.

Warum wird die Bedeutung der Berggebiete noch immer unterschätzt und dies, obwohl der Gletscherschwund die Wasservorräte bedroht?

Grosse Länder wie China, Indien oder Brasilien sind mehr an den urbanen Zonen in den Ebenen interessiert, wo die meisten Menschen leben. Dabei müssen wir die Berge als den neuralgischen Punkt des Klimawandels wahrnehmen. Das Pariser Abkommen will die Erwärmung des Planeten auf zwei Grad beschränken, die Temperatur könnte aber um vier bis fünf Grad steigen. Es ist unumgänglich, die Resilienz der 915 Millionen Bergbewohnerinnen und Bergbewohner zu stärken. Sie halten die Wasser und Biodiversität für die Hälfte der Weltbevölkerung bereit.

Wie überzeugt man Behörden und die internationale Gemeinschaft von einem stärkeren Engagement?

Die Berggebiete müssen bei internationalen Anlässen mit einer Stimme sprechen. Zum Erarbeiten gemeinsamer Strategien nachhaltiger Entwicklung fördert das ICIMOD als Vertreter der Berggebiete Zentralasiens den Informationsaustausch mit afrikanischen, südamerikanischen und europäischen Partnerorganisationen.

Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind in den Bergen bereits sichtbar – Häufigkeit und Intensität von Extrem- ereignissen steigen. Wie passt man sich da an?

Das ICIMOD unterstützt die Bevölkerung darin, auf Naturkatastrophen vorbereitet zu sein. Es fördert ein gezieltes Management der natürlichen Ressourcen und bewährte landwirtschaftliche Praktiken. Wir helfen mit beim Aufbau von Versicherungen gegen die Auswirkungen des Klimas und den Verlust von Vieh. Wir unterstützen auch den Vertrieb hochwertiger landwirtschaftlicher und handwerklicher Erzeugnisse, deren Erträge direkt der Bevölkerung zugute kommen.

Sie erwähnen Produkte wie Heilkräuter, oder Tee, die an Reisende verkauft werden. Hat denn der Tourismus positive Auswirkungen auf Berggemeinden?

Massentourismus wirkt sich negativ auf die Umwelt aus. Ökotourismus hingegen ist vielversprechend. Wenn die Gäste Sorge zur Umwelt und zur lokalen Kultur tragen, regionale Erzeugnisse konsumieren und bei Einheimischen übernachten, dann bekommt der Tourismusbereich Bedeutung. Entscheidend ist das Einbeziehen der Bevölkerung.

Geschieht dies nicht, wandern namentlich die Jungen ab. Was kann man dagegen tun?

Viele Männer emigrieren auf der Suche nach Arbeit in den Mittleren Osten, die Ebenen Indiens, nach Südkorea oder Malaysia. Man müsste den Jungen materielle Unterstützung zum Aufbau ihrer Lebensgrundlage bieten, etwa beim Landbau, bei der Viehzucht, beim Tourismus oder beim Bau.

Emigrieren die Männer, bleibt die ganze Landarbeit an den Frauen hängen. Wie lässt sich deren Situation verbessern?

Man muss ihnen dabei helfen, sich in Institutionen zu organisieren, die sie im Fall von Naturkatastrophen warnen und sie mit Wetterberichten und den Marktpreisen ihrer Erzeugnisse versorgen. Einfache, erschwingliche Techniken erleichtern überdies das Sammeln von Wasser und erhöhen die Bodenfruchtbarkeit.

Fühlen Sie sich angesichts all dieser Herausforderung nicht machtlos?

Nein, ich bleibe optimistisch. Ich bin Bergler – schaue energiegeladen und hoffnungsvoll in eine bessere Zukunft. Ich denke, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen, nämlich derjenigen einer nachhaltigen Entwicklung. Die acht im ICIMOD vertretenen Länder arbeiten daran: Über 300 Forschende und politisch Verantwortliche haben sich zusammengefunden, um die Hindukusch-Himalaya-Region als Ganzes zu evaluieren mit dem Ziel, regional zusammenzuarbeiten und die Nachhaltigkeit zu fördern.

EKLABYA SHARMA ist stellvertretender Generaldirektor des International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD) und hat über 30 Jahre Erfahrung in nachhaltigem Management von Naturressourcen in der Hindukusch-Himalaya-Region. Er hat an der Universität Banaras Hindu in Indien in Ökologie promoviert und im indischen Bundesstaat Sikkim das regionale Zentrum des G.B. Pant National Institute of Himalayan Environment and Sustainable Development gegründet. Zum ICIMOD stiess er 2001. Er ist Mitglied der Indian National Science Academy und wurde mit vielen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, beispielsweise 1999 in den USA mit dem Honorable Mention Paper Award der Soil and Water Conservation Society.

© zVg
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SCHRUMPFENDE GLETSCHER - STEIGENDE GEFAHREN

Die Gletscher sind zugleich Zeugen und Opfer des Klimawandels. Ihr Schwund gefährdet die sichere Wasserversorgung von Millionen Menschen. Forscher studieren dieses «Gedächtnis» der Erde, um das Risiko von Katastrophen zu senken und die Anpassung an neue Bedingungen zu begleiten.

Seit Urzeiten lösen die Gletscher Angst und Bewunderung aus. Sie schufen Landschaften, wirkten auf die Verbreitung der Arten ein und werden auch künftig die Karten verteilen – mit weitreichenden ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen.

Mit ihrem zugleich komplexen und empfindlichen Ökosystem gehören Gletscher zu den sensibelsten Indikatoren der Klimaerwärmung. Die Veränderungen dauern nicht länger als ein Menschenleben: Die Abflussmengen wandeln sich, die Gletscher schmelzen und längerfristig taut der Dauerfrostboden auf. Eine der grössten Bedrohungen stellen Gletscherabbrüche und die damit einhergehenden Hochwasser dar. «Sie können ganze Regionen auslöschen. Lockermaterial und Sedimente, die unter dem Gletscher liegen und zum ersten Mal an die Oberfläche gelangen, bilden Murgänge und stellen eine massive Bedrohung für Anwohner und Infrastruktur dar», erläutert Professor Christian Huggel vom Geografischen Institut der Uni Zürich.

Am stärksten betroffen sind Regionen wie die Anden, der Himalaya, Zentralasien und der Kaukasus. Das beschleunigte Abschmelzen der Gletscher ist nicht nur unmittelbar bedrohlich, sondern stellt auch die Süsswasserversorgung und damit die Ernährungssicherheit infrage. Deshalb ist das Ansinnen, die Folgen des Gletscherrückgangs vorherzusehen, auch so wichtig. In Europa sammeln Forscherteams seit rund hundert Jahren Daten. In den Entwicklungsländern weisen diese hingegen Lücken auf, sagt Martin Hoelzle, Professor für physikalische Geografie an der Uni Fribourg. Um diesen Rückstand aufzuholen, hat die DEZA das Projekt «Cryospheric Climate Services for Improved Adaptation» lanciert.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Abteilung für Geowissenschaften der Uni Fribourg überwachen beispielsweise die Gletscher in Kirgisistan und Usbekistan. In diesen Ländern hängt der Wasserabfluss während der trockenen Sommermonate vor allem von den riesigen Gletscherzonen des Tian-Shan- und des Pamir-Hochgebirges ab. Zur Bestimmung des Gletscherzustands messen die Forschenden den Eisverlust oder -zuwachs. Sie verwenden dazu auch Satellitenfernmessungen mit terrestrischen Kameras oder automatischen Wetterstationen.

Gefahr durch «Bergtsunami»

Sind die Messgeräte eingerichtet, werden Fachleute vor Ort ausgebildet, die die Gletscher autonom beobachten. «In Zentralasien ist es besonders wichtig, präzise Werte zu erfassen, weil da die Wasserverteilung politisch belastet ist und eine ständige Spannungs- oder gar Konfliktquelle bildet. Belastbare Vorhersagen ermöglichen es der Bevölkerung, sich auf künftige Veränderungen einzustellen, und sie tragen zur Vermeidung von örtlichen, regionalen oder gar länderübergreifenden Spannungen bei», unterstreicht Martin Hoelzle.

Schweizer Know-how ist auch in Peru gefragt. An den Unis von Lima, Cuzco und Huaraz wurde 2012 mit Unterstützung der Zürcher und der Freiburger Uni eine Nachdiplomausbildung in Glaziologie eingerichtet. Wie dringend ein solches Angebot ist, zeigte sich 2010, als sich ein 300 000 Quadratmeter grosser Riesenblock vom Hualcán-Massiv löste. Die Eislawine stürzte 513 Meter tiefer in einen See und verursachte eine 25 Meter hohe Welle. Dieser «Bergtsunami», wie manche das Ereignis nannten, zerstörte rund 50 Behausungen. Die Katastrophe hätte viel gravierender ausfallen können, wenn sie die talwärts angesiedelte Bevölkerung getroffen hätte.

Wasserkraft, Bewässerung, Trinkwasser

Das Abschmelzen der tropischen Gletscher, von denen sich über 90 Prozent in den Anden und rund 70 Prozent in Peru befinden, reduziert die Wasservorräte. Je nach Region haben sich die Gletscher in den letzten vierzig Jahren um 33 bis 55 Prozent zurückgezogen; manche werden bald verschwinden. Kurz- und mittelfristig (in Peru bis 2030) nimmt der Wasserabfluss in den Bächen aufgrund des Schmelz- wassers zu. In Peru unterstützt die DEZA sektorenübergreifende und partizipative Projekte zur optimalen Verwendung dieses Wassers im Elektrizitäts-, Landwirtschafts- und Trinkwasserbereich. Das Centre de recherche sur l’environnement alpin in Sitten hat hydraulische und hydrologische Modelle entwickelt, die den Istzustand in den Einzugsgebieten abbilden (Wasserabrufmengen, Wasserbedarf) und mit denen sich die Auswirkungen des Klimawandels auf die künftigen Ressourcen ermessen lassen.

Ausgeklügelter Gefahrenplan

Die peruanischen Behörden haben daraufhin die Schweiz um Mithilfe beim Aufbau eines Frühwarnsystems zur Überwachung der Gletscherzunge gebeten. Daran gearbeitet haben mit Unterstützung der DEZA die Uni Zürich, die ETH Lausanne, Meteodat – ein Spinoff der ETH Zürich – und das Sittener Centre de recherche sur l’environnement alpin. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rekonstruierten zunächst die Etappen, die zum Ereignis von 2010 geführt hatten, modellierten Zukunftsszenarien und errichteten dann zusammen mit den Institutionen, Behörden und Gemeinschaften vor Ort mehrere Beobachtungsstationen.

Rund um die Lagune wurden unterirdische Bewegungssensoren verlegt; Kameras überwachen die Seeoberfläche. Fällt ein Eisblock hinein, werden die Behörden der 13 000-Einwohner-Stadt Carhuaz unten im Tal sofort alarmiert. Ausgearbeitet wurden auch ein Aktionsplan mit Entscheidungshilfen sowie eine Karte mit den sicher befahrbaren Strassen.

Dieses Vorgehen diente der peruanischen Regierung als Modell für analoge Projekte in anderen Regionen. Auch Carmen Valenzuela kennt inzwischen die Gefahrenkarte. Sie lebt mit ihren Eltern im Zentrum von Huaraz, einer Stadt auf rund 3000 m ü.M. im Tal des Río Santa. «Ich habe mehrmals erlebt, wie hier in der Regenzeit der Wasserspiegel stieg. Wenn es in Strömen giesst, fürchten sich die Leute, vor allem jene, die in Flussnähe wohnen, weil die Wassermassen riesige Felsbrocken mit sich führen. Das ist dann richtig lärmig und die Häuser beben», erzählt die 21-jährige Studentin. «Leute gingen bei den Bewohnern vorbei, gaben ihnen eine Karte und erläuterten ihnen die Risiken. Bis dahin hatten die meisten nicht gewusst, dass sie in einem so gefährlichen Bereich lebten, und auch nicht, wo sie bei Gefahr Schutz suchen können.»

Peruanische Schulkinder studieren das Alarmsystem und den Evakuationsplan im Falle eines Gletscherabbruchs oder einer Eislawine mit nachfolgender Flutwelle.  © Zack Bennett/Cosude
Peruanische Schulkinder studieren das Alarmsystem und den Evakuationsplan im Falle eines Gletscherabbruchs oder einer Eislawine mit nachfolgender Flutwelle. © Zack Bennett/Cosude

Überwachte Gletscher

Mit ihren Schweizer Forschungspartnern baut die DEZA seit vielen Jahren die Gletscherbeobachtung vor Ort aus, aktuell unterstützt sie Projekte in Peru, Indien, China und Zentralasien. Zusammen mit dem International Centre for Integrated Mountain Development vertieft sie die Forschung im Bereich der Dauerfrostböden. Alle Daten laufen beim World Glacier Monitoring Service der Uni Zürich zusammen. «Die Ergebnisse bilden die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die Gletscher genauer ab und erlauben es, die damit verbundenen Veränderungen abzuschätzen, darunter den Anstieg der Meeresspiegel, die regionalen Wasserkreisläufe sowie lokale Risiken», präzisiert Martin Hoelzle, Professor für physikalische Geografie an der Uni Fribourg.


KOSTBARE BERGWÄLDER

Die Erderwärmung bedroht die Wälder, dabei sind ausgerechnet sie imstande, diese zu bremsen. In den Anden fördert die DEZA Agroforstwirtschaft und Aufforstungen sowie den Schutz der verbliebenen Naturräume.

Weltweit befinden sich 28 Prozent aller Wälder in Berggebieten. Bergwälder sind eigentliche Dienstleistungszentren: Sie regulieren das Klima, binden Kohlendioxid und reinigen das Wasser, gleichzeitig schützen sie gegen Überschwemmungen und reduzieren das Bodenerosionsrisiko. Die in ihnen heimischen Ökosysteme sind angesichts des Klimawandels sehr verletzlich. Jede Entwaldung hat direkte Folgen für das lokale wie globale Klima sowie für Biodiversität, Wasservorkommen und Bodenfruchtbarkeit – alles Elemente von zentraler Bedeutung für Mensch und Umwelt.

Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit fördert die nachhaltige Bewirtschaftung der Bergwälder. In den Anden – Argentinien, Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela – helfe sie beispielsweise mit, die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die dortigen Ökosysteme zu analysieren und innovative Ansätze zum langfristigen Schutz der Ressourcen zu fördern, erklärt Patrick Sieber vom DEZA-Globalprogramm Klimawandel und Umwelt. «Es geht auch darum, den Andenwäldern auf nationaler und internationaler Ebene mehr Sichtbarkeit zu verleihen, da sie oft kaum wahrgenommen werden.»

Sie gelten zwar als die kleinen Geschwister der Amazonaswälder, bringen es aber auf elf Prozent der gesamten Waldfläche der sieben Andenländer – und sie vermögen klimatische Phänomene zu dämpfen. 40 Millionen Menschen (21 Prozent der Bevölkerung dieser Staaten) hängen von ihrem Wasser ab sowie von den weiteren Ökosystemleistungen, die sie erbringen.

Bodenerosion, Landwirtschaft, Viehzucht und Brände liessen viele Andenwälder verschwinden – in der peruanischen Region Apurímac forstet die Lokalbevölkerung deshalb ihren Gebirgswald wieder auf.  
© Adolfo Antayhua Chipana/Cosude
Bodenerosion, Landwirtschaft, Viehzucht und Brände liessen viele Andenwälder verschwinden – in der peruanischen Region Apurímac forstet die Lokalbevölkerung deshalb ihren Gebirgswald wieder auf.
© Adolfo Antayhua Chipana/Cosude

Bedrohte Naturweiden

Die DEZA füllt Informationslücken, damit sich die Andenwälder besser erhalten lassen. Auf dem Altiplano in Peru, im Huacrahuacho-Becken südöstlich von Cuzco, unterstützte sie einen Pilotversuch, aus dem sich Lehren für die ganze Andenkette ziehen lassen. Der Zustand der Naturweiden auf 4400 m ü. M. ist bedenklich; die Regenfälle haben zu Bodenerosion geführt, die Pflanzendecke ist aufgrund von Landwirtschaft, Viehzucht und Bränden ausgedünnt. Mit der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit haben die Bewohner 34 Hektaren Weiden mit Pfosten und Netzen geschützt, damit sie sich erholen können, und sie haben rund tausend einheimische Bäume gepflanzt.

Einzigartiges Ökosystem

Zum Studium der Dynamik der Andenwälder hat die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit vier Dauerparzellen im staatlichen Ampay-Naturreservat im peruanischen Departement Apurímac eingerichtet. Das geschützte Gebiet weist eine einzigartige Biodiversität auf und erlaubt den Erhalt der Intimpa (Podocarpus ssp.). Diese Nadelhölzer wachsen bis auf 3800 m ü. M. Manche Exemplare sind fast 900 Jahre alt. «Forschungs- und Begleitaktivitäten tragen wesentlich dazu bei, aufgrund der Klimaerwärmung eintretende Veränderungen zu antizipieren», sagt Patrick Sieber vom DEZA-Globalprogramm Klimawandel und Umwelt.


EIN STEINIGES UNTERFANGEN

In den Berggebieten mit ihren harten Produktionsbedingungen ist die Ernährungssicherung beschwerlich. Zur Verbesserung der Ernährung und Resilienz der Bevölkerungen fördert die DEZA althergebrachtes Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse im Dienst der Agrobiodiversität.

Für diese Kirgisinnen aus Ala-Buka im Westen des Landes kann dank Sonnentrocknern für Früchte und Gemüse die Ernte dann verarbeitet werden, wenn sie anfällt – gleichzeitig wird ihre Ernährung gesünder und ausgewogener.
© Marlene Heeb/DEZA
Für diese Kirgisinnen aus Ala-Buka im Westen des Landes kann dank Sonnentrocknern für Früchte und Gemüse die Ernte dann verarbeitet werden, wenn sie anfällt – gleichzeitig wird ihre Ernährung gesünder und ausgewogener.
© Marlene Heeb/DEZA

Bergvölker sind besonders gefährdet, an Hunger zu leiden: Sie hängen weitgehend von einer Landwirtschaft ab, die in engen topografischen Grenzen, auf wenig ackerbaufähigem Land und in kurzen Vegetationszeiten produzieren muss. Überdies erschwert die Abgeschiedenheit den Warenaustausch. «Kommt hinzu, dass aus vielen Regionen die Jungen abwandern, deren Arbeitskraft dann vor Ort fehlt», betont Marlene Heeb vom DEZA-Globalprogramm Ernährungssicherheit.

Laut der Welternährungsorganisation FAO leben in Entwicklungsländern 40 Prozent der Bevölkerung von Berggebieten mit einer unsicheren Ernährungslage. Deshalb fördert die DEZA Landbaumethoden, die auf gesunde Ernährung und eine intakte Umwelt abzielen. Sie bildet Landfachleute aus, die Bauernfamilien in Sachen Landbau und Viehzucht beraten können. «Sie vermitteln den Bauernfamilien Methoden wie das Düngen mit Kompost, Fruchtfolgen oder die Vorteile einer Zwischenfrucht», erläutert Marlene Heeb.

Besonders wichtig sind Diversifizierung und einheimische Kulturen. In Nepal, im Distrikt Jumla, fördert Ghanashyam Nagarkoti die sehr nahrhaften schwarzen Bohnen. Weil sie als Nahrung der Armen gelten, stossen sie auf wenig Interesse. «Wir haben mehrere einfache Rezepte erarbeitet und die Landwirte im Anbau dieser Leguminosen unterrichtet. Die Herstellung biologischer Schädlingsbekämpfungsmittel und Me- thoden zur Anpassung ans Klima haben den Ertrag verdoppelt», erklärt der Landarbeiter. «Die Überschüsse werden auf dem Markt in Nagma verkauft und sichern so die Ernährung der ganzen Gemeinschaft.»

In Kirgisistan baut Alisher Yuldashev mit Dorfbewohnerinnen und -bewohnern aus dem Distrikt Ala-Buka Sonnentrockner für Früchte und Gemüse, damit die Ernte dann verarbeitet werden kann, wenn sie anfällt. «Beim Beobachten der Essensgewohnheiten einer Gruppe von Frauen stellten wir schwere Ernährungsmängel fest, vor allem im Winter, wenn frisches Obst und Ge- müse nicht oder nur zu überhöhten Preisen verfügbar sind. Wir haben ihnen den Nährwert von Trockenfrüchten und ihre lebenswichtige Rolle für eine gesunde und ausgewogene Ernährung vermittelt», führt der junge Kirgise aus.

Wetter und Klima auseinanderhalten

In Peru werden bisher unbekannte Gemüsearten angebaut, darunter Randen. «Ich wusste sie nicht zuzubereiten und habe es einfach versucht. Weil sie Kartoffeln glichen, habe ich sie gleich gekocht», erzählt die 26-jährige Cleofé Huarcaya aus Santa Rosa, im Departement Apurímac, im Süden des Landes. Unter extremen klimatischen Bedingungen verwenden die Bauern Überdachungen, unter denen bei Sonnenschein die Temperatur steigt, was eine geschützte Freilandkultur ermöglicht.

In der Region Puno im Südosten des Landes werden Klima-Workshops organisiert. Über hundert Landwirte wurden bisher von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Wetterkunde und Landbau unterrichtet. Die Bauern können nun die Schädlinge sowie die Krankheiten, die Kartoffeln und Quinoa befallen, in Schach halten. Kcona kcona beispielsweise zerstört die den Inkas heiligen Quinoasamen. Und wie lässt sich das Insekt bekämpfen? Mit einer geeigneten Fruchtfolge und mit Leucht- oder Pheromonfallen (Anziehung über Düfte).

Die Bauern haben zudem gelernt, Wetter und Klima auseinanderzuhalten, um besser gewappnet zu sein. Jeden Tag zur selben Zeit können Sie am Radio den Wetterbericht verfolgen. Bei Extrem- ereignissen wie Frost oder Hagelstürme werden sie per SMS gewarnt. Die Nachrichten werden an Nachbarn und Kollegen weitergegeben, so dass vorbeugende Massnahmen getroffen werden können. Eine Fallstudie zum Quinoaanbau hat nachgewiesen: Wenn die Produzenten der Region Puno auf eine Frostwarnung reagieren, können sie Verluste von 9 Millionen Sol (2,69 Millionen Franken) pro Anbausaison vermeiden und ihren Familien und der ganzen Gemeinschaft eine höhere Ernährungssicherheit bieten.

Kolibris als Wetterschmöcker

Auch die Yapuchiris in Bolivien lernen, meteorologische Daten zu interpretieren. Die angesehenen Landwirtinnen und Landwirte verfügen über althergebrachtes, örtlich verankertes Wissen, betont der DEZA-Projektleiter des Landes. Bioindikatoren helfen ihnen beim Planen des Anbaus. «Baut der Kiriki, eine Kolibriart, sein Nest oben in die Schilfhalme, gibt es ein regenreiches Jahr. Baut er es hingegen weiter unten, ist mit Trockenheit zu rechnen», führt der Bolivianer aus.

Infolge des Klimawandels verlieren solche Beobachtungen an Zuverlässigkeit. Die Yapuchiris verwenden zur Ergänzung traditioneller Informationen denn auch Regenmesser, Thermometer und GPS. «Seither haben die Verluste um 40 Prozent abgenommen und die Erträge haben sich verdreifacht», freut sich Rodrigo Villavicencio. Auch noch so bescheidene Verbesserungen sind auf dem Hochplateau Boliviens auf 2500 bis 4000 m ü. M. willkommen. Die Bauernfamilien hier leben an der Armutsgrenze. Unterstützt von der DEZA unterrichten die Yapuchiris sie über günstige Aussaatperioden, Nutzpflanzen und klimaresistente Sorten. Ihr Wissen wird auch zur Produktion von Düngemitteln und biologischen Pestiziden genutzt. Und zum Schutz der Kulturen vor Hagelschlag wurde eine Mischung aus Pflanzen, Kompost und Pilzen zusammengestellt.

Erblindung und tödliche Infektionen

Laut Ernährungsstudien fehlt es der Bergbevölkerung vor allem an Spurenelementen. In den Anden, im Himalaya und in den Bergzügen Chinas leidet sie auch an Jodmangel. Schuld daran sind hohe Niederschläge und die Schneeschmelze, die das Jod aus den Böden waschen. Überdies besteht in diesen Bevölkerungsgruppen ein hohes Risiko für Kindersterblichkeit, Hirnschäden und Schilddrüsenknoten (Kropf). Im Himalaya und in den Anden ist auch Vitamin-A-Mangel weit verbreitet, was zu Nachtblindheit und Augenschäden führen kann. Es treten sogar Fälle von Erblindung auf, und das Risiko tödlich verlaufender Infektionen ist erhöht. Gemäss der Welternährungsorganisation FAO ketten Mangelerscheinungen und Hunger die Menschen an die Armut, weil sie ihre Arbeits- und Erwerbsfähigkeit senken. Ein weiteres Problem sind synthetische Düngemittel, unter denen die Bodenfruchtbarkeit und menschliche Gesundheit leiden.


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